Frauenkörper als Ware

betr.: „Der Junge und das Kopftuch“, Schlagloch von Kerstin Decker, taz vom 10. 10. 03

Wenn Kerstin Decker die Tatsache, dass in unseren Medien Frauenkörper als Ware dargestellt werden, mit der Aufklärung als „Offenlegung“ von allem und jedem in Verbindung bringt, beweist sie einen getrübten Blick. Frauenkörper als Ware sind lediglich die kapitalistische Variante des Patriarchats, das natürlich viel älter ist als Kapitalismus oder Aufklärung, und leider auch zäher. Die Aufklärung zu reduzieren auf „Offenheit“, „Schamlosigkeit“, „Bekanntmachung alles Unbekannten“ und dann auch noch zu bedauern, wie wenig „erotisch“ das alles sei, ist schon ein ziemlich merkwürdiges Verständnis der europäischen Geistesgeschichte.

Liebe Kerstin Decker: Es ging den Aufklärern um die Würde des menschlichen Individuums, um die Herauslösung aus Zwängen und Fremdbestimmtheit, religiösen und gesellschaftlichen. Fünfzig Jahre später begannen die ersten Feministinnen und Antirassisten, die Menschenwürde und das Recht auf Selbstbestimmung auch für Frauen und für Menschen anderer Hautfarbe einzufordern. Dieser Prozess ist keineswegs abgeschlossen. Völlig falsch ist es dennoch, explizit oder implizit, die angeblich erotisch so gehaltvollen religiösen Kulte der „Scham“ zu beweihräuchern. Mag sein, dass muslimische Männer Gott und Orgasmen haben. Viele muslimische Frauen haben Gott plus Einschränkungen ihrer körperlichen Freiheit, Vergewaltigung und Zwangsheirat.

CLAUDIA PINL, Köln