CHINAS PARTEICHEF HU HAT ERSTMALS POLITISCHEN GESTALTUNGSSPIELRAUM
: Der feine Unterschied

In China ist am Wochenende keineswegs der erste ordnungsgemäße Machtwechsel seit Gründung der Volksrepublik China komplettiert worden. Wer das glaubt, hat das jüngste Kommuniqué des Pekinger Zentralkomitees nicht richtig gelesen. Darin trägt der zurückgetretene militärische Oberbefehlshaber Jiang Zemin den Titel „Kern der dritten Führungsgeneration“, der ihn mit seinen Vorgängern Mao Tse-tung und Deng Xiaoping gleichsetzt. Sein Nachfolger Hu Jintao jedoch, der Jiang zuerst als Parteichef und Staatspräsident sowie jetzt auch als Militärchef beerbte, regiert in seiner Funktion als „Generalsekretär“ – und nicht etwa als „Kern der vierten Führungsgeneration“.

Mit diesem feinen Unterschied lässt das ZK erkennen, welcher Führer absetzbar ist und welcher nicht. Jiang war es nach 15 Jahren an der Macht nicht mehr, er trat jetzt mit 78 Jahren von sich aus zurück. Doch Hu hat mit 61 Jahren noch lange nicht freie Bahn. Sechs von neun Mitgliedern im ständigen Ausschuss des Politbüros, dem höchsten Entscheidungsgremium des Landes, sind Gefolgsleute seines Vorgängers Jiang. Mit ihnen muss Hu auskommen, sonst geht es ihm wie vielen Generalsekretären vor ihm, die zu früh an ihre Macht glaubten und deshalb mit Reformen scheiterten.

Dennoch muss man heute von einer Zeitenwende in der chinesischen Politik sprechen. Wenngleich noch unklar ist, wofür Hu steht, ist die Ära Jiang beendet. Das zeigte die Weigerung des ZKs, Jiangs engsten Vertrauten Zeng Qinghong neben Hu zum stellvertretenden Militärchef zu ernennen. Zengs Niederlage im ZK signalisiert, dass Hu derzeit ohne direkten Nebenbuhler ist. Das verschafft ihm erstmals großen politischen Gestaltungsspielraum. Neue Ansätze sind bereits erkennbar: weniger Wachstumsfetischismus, Besinnung auf die Bauernfrage, mehr Umweltbewusstsein. Als Ex-Chef der Parteischule ließ Hu viel über die europäischen Sozialdemokraten forschen, beschrieb westliche Politiksysteme aber erst kürzlich wieder einmal als Sackgasse. Noch ist die Frage „Who is Hu“? nicht beantwortet. Aber es wird nicht mehr lange dauern. GEORG BLUME