DIE LANDTAGSWAHLEN ZEIGEN NUR EINES: MERKEL MUSS FARBE BEKENNEN
: Interessante Momentaufnahme

Die miserablen Ergebnisse der CDU bei den Landtagswahlen sind ein Erdrutsch – aber von einer politischen Sensation kann keine Rede sein. Es ist angemessener, den Wahlausgang achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen als langfristige Analysen daran zu knüpfen oder gar von einer Trendwende zu sprechen. Allzu oft mussten Momentaufnahmen schon für Prophezeiungen herhalten, die sich wenig später als falsch erwiesen haben. Erstaunlich ist das nicht. Wenn Nostradamus jede Woche in einer Talkshow aufträte, dann wäre der Glaube an seine Fähigkeiten auch schnell erschüttert.

Gerhard Schröder ist der Sieg nicht mehr zu nehmen: Davon waren zur Halbzeit der letzten Wahlperiode viele Beobachter ebenso überzeugt wie ein Jahr später von seiner Niederlage. Dass diese 2006 unausweichlich ist, galt in den letzten Monaten als unumstößliche Tatsache und auch, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zur nächsten Kanzlerkandidatin der Union gekürt werden wird. Und nun? Nun scheint plötzlich alles wieder offen zu sein.

Es ist aber nicht erst seit dem letzten Sonntag alles offen. Das, was sich tatsächlich aus dem Wahlergebnis herauslesen lässt, war schon lange bekannt: Die großen Parteien können sich auf ihre Wähler nicht mehr verlassen. Sie können sich nicht einmal darauf verlassen, dass sie groß bleiben. Langfristig gelingt es der jeweiligen Opposition nicht, von der Schwäche einer Regierung zu profitieren – jedenfalls dann nicht, wenn sie kein überzeugendes Gegenmodell anzubieten hat.

Hier wird es nun in der Tat interessant, und zwar deshalb, weil Merkel diese banale Erkenntnis lange verdrängt zu haben scheint. Vermutlich stand sie unter dem Eindruck des rot-grünen Wahlsieges 1998, ohne zu berücksichtigen, dass dieser auch wesentlich aus dem Überdruss am „ewigen“ Kanzler Kohl gespeist worden war. Für einen solchen Überdruss wird Schröder selbst 2006 noch nicht lange genug im Amt sein. Was bedeutet: Wenn Merkel ihre Position halten will, dann wird sie Farbe bekennen müssen. Taktische Unverbindlichkeit angesichts der schärfer werdenden innerparteilichen Debatte genügt nicht mehr. BETTINA GAUS