Bei Dr. Frankenstein

Jung und fußkrank

Vorbei am Taxenprüfplatz. Ein luftiger Märztag. Eine Frau in Gelb lief in einiger Entfernung vor mir her. Sie trug einen Rock, der in Zeitlupe hin und her schwankte. Die Frau hatte einen lustigen Gang. Sie tänzelte. Sie trug flache gelbe Schuhe. Dann blieb sie vor einem Schaufenster stehen. Im Schaufenster gab es nichts zu sehen. Nur Lampen. Vielleicht plagte sie die Schaufensterkrankheit, von der ich neulich gelesen hatte. Ich hatte nach Symptomen geforscht, da ich fürchtete, ein Raucherbein zu bekommen: Mein Fuß kribbelte beim Auftreten. Dazu schmerzte es im Rücken, rechts.

Meine Hausärztin schickte mich zur Orthopädie; ich bräuchte keinen Termin, meinte sie, da sei nie was los. Der Empfangsbereich, hoch über der Oranienstraße, mit Blick auf neue Baustellen am ehemaligen Mauerstreifen, erinnerte stark an ein Jobcenter, so voll war es. Halb Kreuzberg schien fußkrank zu sein. Ein stummer Fernseher zeigte einen Nachrichtenkanal. Zeitschriften lagen aus. Nach einer Stunde und dreißig vorwiegend türkischen Namen, die über eine Flughafendurchsageanlage ausgerufen wurden, bereitete mich eine berlinernde Assistentin auf den Orthopäden vor. „Erschrecken Sie nicht, der Doktor heißt wirklich so“, waren ihre Worte, bevor ein hektischer Knubbel von Mann ins Zimmer kam, auf dessen Namensschild tatsächlich „Dr. Frankenstein“ stand. Ich grinste.

Er klopfte meine Reflexe ab, streckte Gliedmaßen herum, tippte etwas in einen Rechner. Ich grinste. Am Ende verschrieb er mir ein Schmerzmittel. Dann konnte ich wieder gehen, ganz normal, so wie jetzt an der jungen Frau vorbei, die blond war und mich durch das spiegelnde Schaufenster beobachtete. Vielleicht litt sie an Verfolgungswahn. RENÉ HAMANN