„Konjunktur abgewürgt“

Interview CHRISTIAN FÜLLER
und HANNES KOCH

taz: Herr Austermann, wer hat eigentlich Schuld an der historisch hohen Neuverschuldung des Bundes im Jahr 2003: die SPD, weil sie doch nicht mit Zahlen umgehen kann? Oder die Union, weil sie die tollen Reformen von Rot-Grün blockiert?

Dietrich Austermann: Schuld ist eine Regierung, die über viele Jahre hinweg unseren Warnungen nicht gefolgt ist. Im Sozialsystem wurden die Schleusen aufgemacht, anstatt gegenzusteuern. Die Bürger und Betriebe sind durch immer neue Steuern belastet worden – dadurch hat Rot-Grün die Konjunktur abgewürgt. Das sind hausgemachte Probleme der rot-grünen Bundesregierung.

Sie machen die rot-grüne Regierung allein und komplett verantwortlich für die Misere der Staatsfinanzen?

Genau, der wesentliche Punkt für die haushaltspolitisch schlimmste Situation der Nachkriegszeit ist ihr Zickzackkurs. Das hat das Vertrauen der Investoren und Konsumenten zerstört.

Theo Waigel, Finanzminister der Union, hat sich 1996 den damaligen Schuldenrekord von umgerechnet 40 Milliarden Euro geleistet. War auch Waigel voll verantwortlich?

Damals gab es eine einmalige Situation, die bedingt war durch Weltwirtschaftskrise, Asienkrise und die Folgewirkungen der Wiedervereinigung. Die wesentlichen Faktoren kamen von außen. Das ist bei Eichel anders. Die Neuverschuldung steigt jedes Jahr um zehn Milliarden Euro, ohne jede Perspektive.

Was hätte Eichel tun sollen gegen externe Schocks wie den Kollaps der New Economy, die Anschläge des 11. September und die weltweite Stagnation?

Die Stagnation hat sich merkwürdigerweise nur in Deutschland zugetragen. Außerdem trägt Eichel einen Teil der Verantwortung für die Krise der Telekom-Branche. Die UMTS-Lizenzen für die neuen Handy-Netze hat er mit 51 Milliarden Euro viel zu teuer verkauft. Das bereitet den Unternehmen noch heute enorme Probleme.

Sie wollen nicht im Ernst behaupten, der Finanzminister habe den weltweiten Aktiencrash von 2000 und seine wirtschaftlichen Folgen ausgelöst.

Ich weise auf einen Teilaspekt des Telekom-Marktes hin. Das hat zu Verlusten bei hochkarätigen Unternehmen und bei Aktionären des Neuen Marktes geführt. Aber sicher will ich Herrn Eichel nicht das Platzen der New Economy-Blase in die Schuhe schieben.

Was bedeutet das für den Bundesfinanzminister?

Ich gehe davon aus, dass Eichel am Ende des Jahres nicht mehr im Amt ist. Sein Versagen belastet den Kanzler.

Die Union diskutiert munter durcheinander: halbes, ganzes, gar kein Vorziehen der rot-grünen Steuerreform. Dagegen wirkt die SPD wie eine durchorganisierte Kaderpartei. Wie stellen Sie sich die Zukunft vor?

Es gibt zwei Konstanten in unserer Steuerpolitik. Erstens wollen wir eine große Steuerreform im Jahr 2005, bei der fast alle Ausnahmen wegfallen. Zweitens wollen wir Entlastungselemente der rot-grünen Steuerreform vorziehen. Unterschiedliche Auffassungen gibt es nur in Bezug auf die Frage, ob und wie wir das Vorziehen der Steuerreform finanzieren.

Wie sieht denn nun Ihr großes Gegenkonzept aus?

Unser Modell sieht vor, dass 2005 fast alle steuerlichen Ausnahmen und Subventionen wegfallen – außer der Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer, Spenden an gemeinnützige Organisationen und der Förderung der Familie. Damit wollen wir die drastische Absenkung der Steuersätze für alle finanzieren.

Wie wollen Sie das bezahlen?

Diese Steuerreform finanziert sich selbst. Wir haben das Beispiel doch erlebt. Gerhard Stoltenberg hat als Finanzminister der Union 1986 eine Steuerreform durchgeführt mit einer Entlastung von 45 Milliarden Mark. Er hat aber damit einen Beschäftigungsimpuls von drei Millionen Jobs hervorgerufen. Und ein deutliches Absinken der Sozialausgaben. Das war eine Erfolgsstory, die wir mit unserem neuen Konzept wiederholen wollen.

Das wird zu einer höheren Verschuldung führen als bei Finanzminister Eichel. Verabschiedet sich die Union von dem Ziel stabiler Staatsfinanzen?

Blödsinn. Die Summe der steuerlichen Ausnahmen beläuft sich auf rund 100 Milliarden Euro. Das wird doch wohl ausreichen, um eine ordentliche Steuerreform mit niedrigerer Belastung für alle zu finanzieren.

Das ist das von Ihnen kritisierte Prinzip „rechte Tasche, linke Tasche“. Was soll der in der Union diskutierte Spitzensteuersatz von 25 Prozent bringen, wenn man den Bürgern umgekehrt alle Vergünstigungen nimmt?

Bei den Steuern gehen wir deutlich unter die jetzigen Sätze. Nehmen Sie das Beispiel der Krankenschwester, die nachts und sonntags arbeitet. Ihr geht zwar die steuerliche Vergünstigung verloren. Dafür bezahlt sie aber umgekehrt so wenig Steuer, dass sie mehr in der Tasche hat.

Wenn Sie den Leuten mehr geben, als Sie ihnen nehmen, müssen Sie die Differenz finanzieren. Sie würden mehr Schulden machen als Eichel.

Das sind die veralteten Vorbehalte, die in den 80er-Jahren auch gegen Stoltenberg angewandt wurden. Ich sage Ihnen: Je weniger Steuern der Staat den Bürgern abnimmt, desto mehr Geld hat er in der Kasse. Die Leute wissen viel besser, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen. Sie beleben die Wirtschaft, sie investieren, sie konsumieren.

Das sozialpolitische Konzept von CDU-Chefin Angela Merkel sagt, dass jeder Versicherte für die Krankenversicherung in Zukunft eine Kopfpauschale von 264 Euro zahlen soll. Was die Bürger durch Ihre Steuersenkung gewinnen, müssten sie für die hohen Sozialbeiträge wieder ausgeben. Wie sollen sie da mehr konsumieren?

Die Ideen der Kommission des Exbundespräsidenten Roman Herzog wird die Union gründlich prüfen. Kommissionsvorschläge sind noch keine Gesetze.

Merkel will die drastisch steigenden Sozialbeiträge durch steuerliche Vergünstigungen abfedern. Das kostet Geld. Also doch höhere Steuersätze – oder höhere Schulden?

Wir müssen sehr intensiv darüber reden, wie wir das aus dem Haushalt finanzieren können.

Diese Aussage wird die Bürger beruhigen.

Wir wollen die Beitragssätze für die Sozialversicherung senken, und auch die Steuersätze. Möglicherweise fordert das den Einzelnen. Aber es führt dazu, dass die Menschen wieder zu mehr Eigenverantwortung geführt werden.