Kanzler gerettet

Warum die Kritiker den Hartz-Gesetzen zustimmen

BERLIN taz ■ Der letzte Rest von Unsicherheit vor der Bundestagsabstimmung am Freitag ist seit gestern verflogen. Das rot-grüne Schlachtfeld ist (bis zur nächsten Krise) wieder übersichtlich. Die Schröder-Regierung kann sich bei der Verabschiedung der Arbeitsmarktgesetze Hartz III und Hartz IV auf eine eigene Mehrheit verlassen. Jeder Abgeordnete, der sich nach der gestrigen Probeabstimmung in der SPD-Fraktion jetzt noch einmal anders entscheidet, wird eine sehr unerfreuliche Bekanntschaft mit den Daumenschrauben des Fraktionsvorsitzenden machen.

Am Ende von drei turbulenten Wochen bleibt also nur eine ebenso schlichte wie berechtigte Frage: Warum stimmen die „Abweichler“ bei SPD und Grünen plötzlich Gesetzen zu, die sie bis vor wenigen Tagen noch abgelehnt haben? Da Politik manchmal viel simpler funktioniert als gemeinhin angenommen, gibt es auf diese einfache Frage eine einfache Antwort: Weil der Bundeskanzler und die Fraktionsführungen von SPD und Grünen den Kritikern entgegengekommen sind. An drei entscheidenden Punkten ist das Gesetz über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV) verändert worden. Wenn Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD) oder Christian Ströbele (Grüne) jetzt von „deutlichen Verbesserungen“ für die Betroffenen sprechen, dann meinen sie das ernst. Und sie haben damit ja durchaus Recht. Wenn ein Arbeitsloser über 60 Jahre mehr privates Vermögen als bisher behalten darf, bevor er das neue Arbeitslosengeld II erhält, oder wenn bei Minijobs zumindest teilweise ein Lohndumping verhindert wird, dann sind das nicht nur kosmetische Korrekturen.

Trotzdem ist dies nicht die ganze Geschichte des Stücks „Wie bleibt Rot-Grün an der Macht?“. Die Reformkritiker haben auch eine politische Entscheidung getroffen. „Politik ist immer das Geschäft von Kompromissen“, sagt Fritz Schösser, einer der sechs SPD-Abweichler, plötzlich, und da klingt er schon fast wie sein Fraktionschef Franz Müntefering. Innerlich überzeugt von der Richtung der Agenda 2010 sind die SPD-Linken nicht – aber nach den Zugeständnissen bleibt ihnen kein argumentativer Spielraum mehr, um jetzt noch Schröders Ende heraufzubeschwören. So stark ist kein Abgeordnetengewissen.

Und schließlich konnten die rot-grünen Kritiker, das sollte nicht unterschätzt werden, ihr Gesicht wahren. Das mediale Echo am Dienstag war überraschend einhellig: Ohne den anhaltenden Widerstand der „Rebellen“ hätte es die Nachbesserungen nicht gegeben, hieß es in vielen Zeitungen. So sieht eine goldene Brücke für Abweichler aus: Hart geblieben, Gesetze verbessert – und am Ende trotzdem den Kanzler gerettet. JENS KÖNIG