Noch ein Kreuzberger Fass ohne Boden

Erneut scheinen 10 Millionen Euro öffentliche Gelder in den Sand gesetzt – diesmal beim Neuen Kreuzberger Zentrum. Dem droht trotz der Hilfe die Insolvenz. Rechnungshof warnt vor weiterer Förderung. Parlamentarier suchen heute nach Lösung

VON CHRISTOPH VILLINGER

Es geht mal wieder um mindestens 10 Millionen Euro, über die der für Finanzen zuständige Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses heute brüten muss. Doch diesmal steht nicht das Tempodrom auf der Agenda, sondern das ähnlich defizitäre Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) am Kottbusser Tor. Denn auf die 10 Millionen verzichtet das Land zugunsten der privaten Abschreibungsgesellschaft NKZ KG. Die sollte ursprünglich ab Dezember einen Kredit über knapp 25 Millionen Euro zurückzahlen. Doch nun darf sie ihn zehn weitere Jahre zins- und tilgungsfrei behalten. Pro Jahr gehen dem Land so mindestens eine Million an Zinsen verloren.

Dies beschloss am 2. April 2003 der beim Senator für Stadtentwicklung angesiedelte Bewilligungsausschuss, um eine Insolvenz der Betreibergesellschaft des riesigen Betonklotzes mit 295 Sozialwohnungen zu verhindern. Doch bereits jetzt soll NKZ-Geschäftsführer Peter Ackermann erneut mit der Insolvenz drohen, falls nicht noch zusätzliche Gelder bereitgestellt werden. Dabei hatten Sachbearbeiter landeseigener Banken schon seit Jahren davor gewarnt, weitere öffentliche Gelder in das Projekt zu stecken. Das geht aus einem vertraulichen Bericht des Landesrechnungshofes hervor, der der taz vorliegt.

Laut Rechnungshof sind seit der Fertigstellung des 1974 von der privaten Kommanditgesellschaft errichteten Komplexes bis heute genau 51.905.516,82 Euro öffentliche Mittel, darunter die knapp 25 Millionen als zurückzuzahlendes Darlehen, in das Gebäude geflossen. Der Bau selbst kostete nur etwa 48 Millionen Euro. Trotzdem hat die KG nach 30 Jahren immer noch etwa 40 Millionen Euro Schulden bei der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB).

„Und es ist offensichtlich, dass das NKZ bald weitere öffentliche Gelder braucht“, klagt Barbara Oesterheld (Grüne). Allein die marode Heizungsanlage werde kaum noch einen Winter überstehen. Ein im Bericht des Rechnungshofs erwähntes, von der IBB beauftragtes Gutachten geht von einem Modernisierungs- und Instandsetzungsbedarf von 4,25 Millionen Euro aus. „Direkt ist das NKZ zwar nicht mit dem Tempodrom vergleichbar“, meint Oesterheld, „aber auch hier werden am Parlament vorbei Entscheidungen getroffen, die den Landeshaushalt betreffen.“

Die Mitglieder des Hauptausschusses haben heute bei ihrer nichtöffentlichen Sitzung den Rechnungshofbericht auf dem Tisch. Die politisch Verantwortlichen aber geben sich zugeknöpft. So will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht einmal sagen, wer im Bewilligungsausschuss die letzte Millionengabe abgesegnet hat. Dies sei vertraulich. Allein dass sich im Ausschuss „stimmberechtigte Mitglieder“ aus dem eigenen Haus sowie den Senatsverwaltungen für Finanzen und Wirtschaft, Arbeit und Frauen sowie der IBB treffen wird bestätigt.

Mit der Stundung von Zins und Tilgung sollten Gelder für die Instandhaltung des Gebäudes frei gemacht werden. Doch trotz der Renovierung der Ladenzeilen gelingt es Peter Ackermann – dem alleinigen Geschäftsführer aller drei zum Firmenkomplex des NKZ gehörenden Gesellschaften – nicht, diese Läden zu vermieten. Knapp ein Viertel aller Gewerbeflächen im NKZ steht trotz großer Nachfrage leer. Selbst die Initiatoren des viel gelobten „Kaufhaus Kreuzberg“, die dort kleine Einzelhändler unterbringen wollten, scheiterten an Ackermann.

Schon im letzten Jahr fragte der Kreuzberger SPD-Abgeordnete Stefan Zackenfels seinen Parteigenossen Ackermann öffentlich, was er denn eigentlich mit dem NKZ vorhabe. Inzwischen lässt ihn die erneute Drohung einer Insolvenz kalt. Die könne im gesellschaftlichen Leben auch eine Chance darstellen, wie das Beispiel des Papierherstellers Herlitz zeige, sagt Zackenfels. „Dort gelang mit einer neuen Geschäftsführung ein neuer Aufbruch.“