schwabinger krawall: vergleichsweise hitler von MICHAEL SAILER
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Durch politische Äußerungen ist die alte Frau Reibeis bislang nicht aufgefallen, wohingegen sie sich in der Wortwahl schon manchmal vergriffen hat, aber diesmal wird keiner recht schlau aus der Geschichte.

Die hat so begonnen: Frau Reibeis ist, ihrem Alter entsprechend, nicht mehr besonders gut zu Fuß; deshalb war ihr das Auto, das auf dem Gehsteig parkte und sie zwang, sich zwischen der Durchquerung der Hundekotberge im Grünstreifen und dem möglichen Aufreißen ihrer Bekleidung beim Vorbeipressen am Rauputz der Hauswand zu entscheiden, ein ernst zu nehmendes Hindernis. Sie entschied sich für den ersten Weg, da sich Schuhsohlen desinfizieren lassen, erschauerte unter dem lauten Wummern, das aus dem Fahrzeug drang, und fiel der Länge nach in den Dreck, als sich die Fahrertür unvermittelt öffnete. Heraus stieg ein Mann mit Aktenkoffer, der die hilflos am Boden zappelnde, offenbar nicht wesentlich verletzte Frau kurz betrachtete, sich die Hand am Jackett abwischte und nach links und rechts sah. „Sind Sie okay!“, sagte er forsch.

Frau Reibeis hatte sich unter größten Mühen in eine sitzende Haltung aufgerappelt, ihre Stimme war jedoch aufgrund des Schocks vorläufig nicht einsatzfähig, weshalb sie einem Fisch ähnelte, den es auf eine Sandbank gespült hat. Als sie dann etwas äußern konnte, war es im Wesentlichen nicht druckreif, doch ist Frau Hammler, die auf dem Balkon stand und Wasser in Blumentöpfe tröpfeln ließ, die Feststellung aufgefallen, „das“ sei ja „wie beim Adolf“.

Was da schon wieder los sei, fragt ihr Mann aus dem Wohnzimmer hinter seiner Zeitung hervor. Frau Hammler berichtet: „Die alte Frau Reibeis hat so einen Rüpel mit dem Hitler verglichen.“ Das sei ja jetzt wieder groß in Mode, brummelt ihr Mann und fügt hinzu, ein Blödsinn sei es trotzdem, denn erstens könne sich die alte Schachtel sowieso nicht mehr an das tausendjährige Reich erinnern, und wenn doch, dann falle ihr wohl wieder ein, was ihr seliger Gemahl zu jener Zeit getrieben habe.

Frau Reibeis, die inzwischen wieder steht, muss sich von dem jungen Mann sagen lassen, er müsse sich so etwas nicht sagen lassen; er sei Demokrat und als solcher Mitglied einer entsprechenden Partei, und als sie keifend erwidert, sie könne auch einen Schutzmann alarmieren, brüllt der Mann, wegen eines kleinen Missgeschicks müsse man sich nicht aufführen wie ein Nazi-Blockwart.

Jetzt werde es kompliziert, meldet Frau Hammler. „Jetzt hat der junge Kerl die Frau Reibeis mit dem Hitler verglichen.“ Herr Hammler stöhnt und schweigt. Es wird noch komplizierter: Der Zivildienstleistende, der Frau Reibeis mit Essen auf Rädern versorgt, kommt hinzu, des weiteren ein junges Ehepaar sowie eine alterslose, grellbunt verpackte Rollschuhfahrerin, die, da sie das Auto zu spät sieht, in dieses hineinrast, dabei einige Zähne und das Bewusstsein verliert und für eine Verschiebung der Diskussionsgrundlage sorgt. Frau Hammler wendet sich ab, schließt die Balkontür und zieht die Gardine vor. Was denn weiter passiert sei, fragt ihr Mann. „Ach, was weiß ich“, sagt Frau Hammler, „ein Riesendurcheinander. Wie in der Räterevolution.“