Ohne Abgründe dialogisiert sich‘s leichter

DaimlerChrysler und die Unesco testen bei einem Dialog der Kulturen mit Schülern, ob sie gute Partner sein können. Dabei sind alle glücklich – solange nicht die Abgründe des Clash of Civilizations berührt werden. Mondialogo soll weitergehen

„Wir können nur ohne Vorurteile internationale Teams bilden“

AUS BARCELONA CHRISTIAN FÜLLER

Nancy Schwartz musste ihre Rolle im Kampf der Kulturen erst finden. Wochenlang versuchte die Lehrerin am Conserve College in Land O’Lake, USA, ihre Partnerschule im anderen Ende der Welt zu kontaktieren. Via Internet war die Oberschule in Okara, Pakistan, nicht zu erreichen. Dann, als endlich ein Anruf durchkam, lautete die erste Frage aus dem muslimischen Land: „Wie viele Kinder haben Sie?“

So kann interkultureller Dialog aussehen.

Glücklicherweise ist Nancy nicht allein. Neben ihr sitzen Luisa Kacilala Qilatabu Kamenio von den Fidschi-Inseln, Lavinia Dima aus Rumänien, Steven Kayode Lardner, Nigeria. Und 96 weitere SchülerInnen und LehrerInnen. Aus aller Welt sind sie nach Barcelona, Spanien, gekommen, um den interkulturellen Dialog zu fördern. An diesem Wochenende werden die Gewinner des Mondialogo-Wettbewerbs gekürt.

Und jetzt steht Astrid Sebb vor den SchülerInnen – und spricht über Autos. „Wir produzieren und verkaufen Autos“, sagt die Leiterin des „Social Sponsoring“ beim DaimlerChrysler-Konzern. Die Gesichter werden neugierig. Was, bitte schön, hat das mit dem interkulturellem Dialog zu tun? „Wir können nur dann Teams in unserem wirklich internationalen Unternehmen bilden“, fährt Fau Sebb fort, „wenn wir keine Vorurteile haben.“

Vor drei Jahren gab es bei DaimlerChrysler die Idee, den Spieß beim Sponsoring mal umzudrehen? Also sprach Daimler die Unesco an, den für Bildung zuständigen Ableger der Vereinten Nationen. Es entstand eine der ersten Public-Private-Partnerships auf globaler Ebene. Die alerten Profitjäger des Weltkonzerns steckten plötzlich die Köpfe mit den verbeamteten Peaceniks aus Paris zusammen – freiwillig. „Die müssen immer alles absichern“, raunt eine Daimler-Frau, „das dauert manchmal ein bisschen länger.“

So kann interkultureller Dialog aussehen.

Dafür ging es dann aber ziemlich fix. Binnen eines Jahres stampften die ungleichen Partner einen weltweiten Schulwettbewerb aus dem Boden, an dem 25.000 SchülerInnen von allen Kontinenten teilnahmen. 1.466 Schulen suchten Kontakt zu einer Partnerschule irgendwo auf der Welt. „Die Nachfrage war riesig“, sagt Hans D’Orville, der Unesco-Direktor aus Paris. „Wir konnten gar nicht anders, wir mussten ja fertig werden.“

Für die Organisationskulturen von Daimler und Unesco war Druck heilsam. Bei den 15- bis 18-jährigen Schülern läuft das ganz anders. Die sind jetzt irre nervös , weil sie ihre Projekte zusammen mit dem jeweiligen Partner von einem anderen Kontinent präsentieren. Dmytro Maystruk aus der Ukraine sagt jeden Satz zweimal, Rebecca Hütteroth aus Meißen ermahnt ihre Lehrerin zur Ruhe. Viele stecken in ihren heimischen Trachten. Der kleine große Kasache bittet eine Philippinerin zum Tanz. Der ganze schöne Dialog der Weltkulturen ist ganz nah am Klischee vom Hab-mich-lieb-Multikulturalismus. Da nimmt die Inderin Divita Mathur ein Mädchen aus Pakistan an der Hand. Als wollten sie den Generälen zu Hause sagen: Seid lieber zärtlich, anstatt an den Roten Knöpfen für eure Atombomben herumzufingern. Macht Frieden und nicht Krieg.

Am Abend der Preisverleihung klappt das mit dem Frieden schon ganz gut. In einem Palmenhaus des botanischen Gartens von Barcelona wird spontan Nataly de Caridad Caula auf die Bühne geholt. Die junge Kubanerin hat sich schon an den Abenden zuvor in die Herzen der Schüler gesungen. Jetzt interpretiert sie vor großem Publikum eine der schlimmsten Schnulzen von Céline Dion. Das Spanische nimmt ein wenig von dem Kitsch, und Fidels schönste Tochter spielt den Steinway selbst. Nicht nur die Daimler-Leute haben feuchte Augen. Der ganze Event sieht wie ein großer Erfolg aus. Wird hier womöglich ein kleiner Star geboren?

Ohne Steinway ist der interkulturelle Dialog glanzloser. In der Conreria, einem Kloster oberhalb Barcelonas, präsentieren „die Kinder“, wie sie meisten Betreuer nennen, die Früchte ihrer Zusammenarbeit. „Wir hatten einen großartigen interkulturellen Dialog“, sagt eine junge Frau. Man versteht nur nicht recht, worin er denn bestand. Was wissen die Jugendlichen nach drei Tagen Seminaren voneinander? Was nehmen sie mit nach Hause?

Lavinia aus Sibiu, Rumänien, sitzt neben Steven aus Lagos, Nigeria. Sie habe einen „kraftvollen Eindruck“ von den „fröhlichen Menschen“ Nigerias bekommen, die ihr Leben auf „Glück aufbauen“ und wirklich enthusiastisch sind. Steven strahlt, als die selbstbewusste 17-jährige Rumänin das sagt. Und meint später etwas kleinlaut, er werde ihr noch berichten müssen von der Frau in seinem Land, die wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilt worden sei. Lavinia ist neugierig geworden. „Was ist passiert mit ihr?“, will sie wissen. Kein Problem, gibt Steven zurück, „sie ist geflohen“.

Die religiösen Abgründe der Kulturen sind beim Mondialogo-Wettbewerb nicht gerade das Schlüsselthema. „Nein, wir haben nicht über den Anschlag auf die Schule in Beslan gesprochen“, sagt Mirsal al-Eid fast ein wenig empört. Die Lehrerin aus Kuwait wird später zusammen mit ihrer Schülerin Amani zweiter Sieger von 1.466 teilnehmenden Schulen sein. „Wir wollen positive Dinge tun und Lösungen suchen“, sagt al-Eid trotzig. Zu deutsch: Mit der Lehrerin aus der Partnerschule aus Berlin hat sie vereinbart, die krisenhaften Erscheinungen von Religion und Multikulti lieber auszuklammern.

Obwohl das strenggenommen ein bisschen gegen den Geist des ersten mondialen Dialogs von Schülern verstößt. Der Abbau von Vorurteilen ist bei jedem Gespräch in der klösterlichen Stille der Conreria Programm. Und der Jenaer Professor des interkulturellen Dialogs, Jürgen Bolten, empfiehlt den Beteiligten, „den Mut zu haben, offen über unklare Themen und Lücken des Verstehens zu sprechen“.

Die Sponsoring-Chefin von Daimler dämpft die Erwartungen vorsorglich. „Wir werden hier keine terroristische Attacke stoppen können“, sagt Astrid Sebb. Aber daran arbeiten, dass die Welt über die Mondialogo-Schüler ein bisschen enger zusammenwachse. Wie ein Wollknäuel, das über den Erdball hin- und hergeworfen wird, wollen die Daimler-Leute die Kontakte zwischen Schulen knüpfen. Das bedeutet: Der Mondialogo-Wettbewerb wird weitergeführt.

Vielleicht eine Chance für Nancy Schwartz, mit den Pakistani noch direkt ins Gespräch zu kommen. Ihrer Partnerschule erteilten die spanischen Behörden keine Einreiseerlaubnis.