Kleines Ausbildungsplus im Riesenminus

Die gute Nachricht: Arbeitgeber haben bisher 10.800 mehr Ausbildungsplätze geschaffen als vernichtet. Die schlechte: Es gibt dennoch viel mehr Ausbildungssuchende als -plätze, und wie die Ersatz-Praktika aussehen sollen, weiß niemand

BERLIN taz ■ Am Ende werden noch mehr Jugendliche ohne Ausbildungsplatz dastehen als im vergangenen Jahr. Vorher aber bekommt die Öffentlichkeit auf tausend verschiedenen Wegen vorgerechnet, dass der Ausbildungspakt „wirkt“ bzw. „greift“. So zum Beispiel gestern.

Eine positive 100-Tage-Bilanz des Abkommens zwischen Regierung und Wirtschaft zur Schaffung neuer Ausbildungplätze zogen die Ausbildungspaktierer Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, Arbeitsminister Wolfgang Clement (beide SPD), sämtliche Chefs der Arbeitgeberverbände sowie der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise. Da die Arbeitgeberverbands-Vorsitzenden allerdings immer einerseits sich und den Pakt loben, andererseits ihre Mitglieder weiter zur Schaffung neuer Ausbildungsplätze anregen müssen, erklärte der DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun: „Wir haben das Ziel vor Augen; aber erreicht haben wir es noch nicht.“

Die gute Nachricht in der vielstimmig dargebotenen Zahlensinfonie reduzierte sich freilich darauf, dass die Industrie- und Handelskammern sowie das Handwerk bisher zusammen 10.800 mehr Ausbildungsplätze bei den Arbeitgebern eingeworben haben, als in derselben Zeit verloren gegangen sind. Dies, erklärte Handwerkspräsident Dieter Philipp, sei „zu honorieren“.

Gleichzeitig jedoch verlangen in diesem Jahr 20.000 mehr junge Menschen nach Ausbildung als im vergangenen Jahr. Die Lücke zwischen gemeldeten Ausbildungsplätzen und gemeldeten Bewerbern beträgt gegenwärtig etwa 30.000. Diese Zahl ist nicht zu verwechseln mit der Zahl der Unversorgten – schließlich passt der ausbildungswillige Bäcker in spe in Bamberg noch lange nicht auf die gemeldete Ausbildungsstelle beim Fleischer in Flensburg.

Im Übrigen funktioniert der Datenabgleich zwischen den Kammern und der Bundesagentur für Arbeit immer noch nicht. Wie viele junge Menschen also derzeit wirklich noch einen Ausbildungsplatz brauchen, erklärte gestern der Sprecher des Bildungsministeriums, sei unklar: „Das ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten.“

Immerhin aber gibt es Anfang Oktober, also zum Auftakt des Ausbildungsjahrs, die neuen Statistiken der Bundesagentur. Doch bevor die ihren hässlichen Schatten auf den Pakt werfen, wollte Clement gestern den Startschuss geben für den zweiten Teil des Pakts: Denn wer keinen Ausbildungsplatz bekommt, soll in bis zu 12-monatige Praktika (Pakt-Formulierung: „Einstiegsqualifizierungen“) vermittelt werden. Davon gibt’s bislang erst 10.000, bis Ende des Jahres sollen es 25.000 werden. Für ein solches – vom Staat mit 200 Euro plus Sozialversicherung entlohntes – Praktikum muss der Bewerber zur Handelskammer zum „Kompetenzcheck“ kommen. Dieser sei „keine Prüfung, eher eine Art Beratung“, wie Braun erklärte.

Genaueres über die pädagogische oder inhaltliche Ausgestaltung der Praktika ist bislang nicht bekannt, wurde aus Gewerkschaftskreisen als Kritik angemeldet. Die Gewerkschaften vermuten, dass die Kompetenzchecks genutzt werden, um Jugendliche aus der Statistik zu wälzen. ULRIKE WINKELMANN