Lauter lobenswerte Absichten

Osnabrück feiert derzeit seine interkulturellen Wochen. Allerdings hat man an der Hase kein glückliches Händchen bei der Terminwahl: Von einer Fundamentalismus-Diskussion an Jom Kippur sind gläubige Juden von vornherein ausgeschlossen

Von heiko Ostendorf
undBenno Schirrmeister

Integration? „Ich verabscheue dieses Wort“, sagt Renan Demirkan im Gespräch nach ihrer Eröffnungsrede der Interkulturellen Wochen Osnabrück. Integration, das bedeute „sich unterzuordnen und dabei das Eigene aufzugeben.“ Recht provokant, wenn man bedenkt, dass die Schauspielerin und Autorin als Schirmherrin der Veranstaltung auftritt. Denn Integration gehört hier zum Themenrepertoire: Der Frage, wie schwierig es ist, sich zu integrieren, gehen Lesungen nach, am 8. Oktober steigt eine „Integrationsparty“ und eine Ausstellung über „Integration von Muslimen in Niedersachsen“ feiert Vernissage. „Problemfelder und Perspektiven“ soll letztere aufzeigen. Die Problematik des Begriffs haben die Macher übersehen.

Demirkan lässt sich dadurch von ihrer Kritik nicht abhalten. „Friedliche Koexistenz“, empfindet sie zwar als passenderen Ausdruck, aber auch der sei nur ein Kompromiss. „Wo diese Begrifflichkeiten nötig sind“, sagt sie, „haben wir noch keinen wirklichen Gemeinsinn entwickelt.“

Integration – das Wort führt auch Osnabrücks Kultus- und Sozialdezernent Reinhard Sliwka (FDP) gern im Munde. Natürlich mit den besten Absichten, nämlich dann, wenn er erläutert, warum sich die Stadt mit den Interkulturellen Wochen schmückt: Als „Speerspitze der täglichen integrativen Arbeit“ bezeichnet er die knapp zwei Monate, die man an der Hase als Nische fürs Miteinander reserviert. Unverzichtbar, trotz Scheiterns der Kulturhauptstadtbewerbung, bei der sie eine wichtige Rolle spielte. Dafür bewirbt sich Osnabrück mit den interkulturellen Wochen nun beim vom Bundesinnenministerium und Bertelsmannstiftung ausgeschriebenen Wettbewerb „Erfolgreiche Integration ist kein Zufall“. „Eigentlich“, gibt Sliwka dem Festival eine Bestandsgarantie, „müsste es die Interkulturellen Wochen das ganze Jahr über geben.“ Vom Ziel, „aus dem Nebeneinander ein echtes Miteinander“ zu machen, sei man nämlich „noch ein Stück entfernt.“

Zwischen Alltag und Festivitäten klafft in Osnabrück tatsächlich eine gut sichtbare Lücke. Immer noch sammeln sich Menschen ausländischer Herkunft in bestimmten Stadtteilen. Hier überwiegen die türkischen Geschäfte und die Kebabbuden. Dass diese Gettoisierung noch nicht durchbrochen ist, bemerkt Sliwka wohl: „Es ist ein ständiger Prozess“, sagt er. Es kämen ja immer wieder neue Zuwanderer, die – na was wohl – „integriert werden müssen.“

Lydia Kocar forscht an der Uni Osnabrück über kommunale Ausländerarbeit. Auch die promovierte Soziologin sieht den Begriff Integration kritisch. Der Akzent müsse auf „gegenseitigem Verstehen und gegenseitigem Informieren“ liegen. Was auch bedeute, unterschiedliche kulturelle Werte und ihre Äußerungen zu akzeptieren. Den Ruf des Muezzins müsste man ihrer Ansicht nach genauso ertragen wie das Läuten der Kirchenglocken. Voraussetzung dafür: „ein wissendes Miteinander“.

Dafür wäre ein gegenseitiger Lernprozess vonnöten. Um den in Gang zu bringen, bedürfte es einer Konfrontation an neutralem Ort. Dass die interkulturellen Wochen den bereitstellen, bezweifelt nicht nur der Judaist Bernward Teuwsen: „Wenn der Eingeladene nicht auch etwas mitbringen kann, sondern nur der Einladende etwas an den, der kommt, heranbringt, dann stimmt das für mich nicht.“ Wohlgemerkt: unter diesen Mitbringseln versteht er durchaus auch die „Missverständnisse, Aggressionen und Vorurteile“. Im Angebot führen die Interkulturellen Wochen einen Tag der offenen Synagoge und mehrere Kirchenführungen. An einem Tag öffnet sich auch eine Moschee fürs Laufpublikum und präsentiert fleißig muslimische Kultur und türkisches Essen – wobei der lukullische Teil erfahrungsgemäß am meisten Zulauf hat. Wer aber hier eine Kontroverse übers Kopftuch erwartet, wird enttäuscht. Kritischer Diskurs, bedauert Teuwsen, finde bei solchen Veranstaltungen nicht statt.

Wie weit es mit der Interreligiosität bei den Interkulturellen Wochen her ist, zeigt schon die Terminwahl für die Diskussion der Religionen über Fundamentalismus. Sie findet am kommenden Sonntag statt. Jüdische Vertreter sind dabei nicht zu erwarten. Das ganze Wochenende über nämlich wird der wichtigste jüdische Feiertag begangen –Jom Kippur, das Versöhnungsfest. Eine unmögliche Terminwahl, befindet Teuwsen. „Dem Thema gemäß“, sagt der Judaist, „ist diese Einladung nicht.“