Ein Ende bremischer Bescheidenheit

Seit Montag ist die neue Zentralbibliothek am Wall eröffnet, wenn auch vorerst nur probeweise. Wo einst nur die Polizeiautos parkten, will man jetzt mediterranes Flair schaffen – und die Jugendlichen mit Computerspielen zum Lesen verlocken

Bremen taz ■ Wer in die neue Zentralbibliothek am Wall kommt, findet erst einmal nur wenig Bücher vor. Vor den Eingangstüren dominiert laute Gastronomie, dahinter erwartet die Besucher ein weitläufiger Eingangsbereich.

Über Fliesen aus Terrakotta führt der Weg auf breiten Stufen hoch in einen Lesegarten. Wo einst nur Polizeiautos parkten, will man mediterranes Flair schaffen. Fast eine Viertelmillion Bücher, CDs, Videos, DVDs und Noten sind in den vergangenen vier Wochen hier eingezogen. Die offizielle Eröffnung steht erst für den 6. Oktober auf dem Programm, doch seit Montag läuft bereits der Probebetrieb.

Die beengten Verhältnisse aus dem alten Gebäude am Schüsselkorb sind großzügigen 5.500 Quadratmetern gewichen. „Früher hatten wir die bescheidenste Zentralbibliothek in ganz Deutschland“, erinnert sich der stellvertretender Direktor Erwin Miedtke. Das hat sich nun definitiv geändert. Gleichzeitig ist hier auch die Graphotek, die Musik-, die Kinder- sowie die Krimibibliothek mit untergebracht.

Auf letztere ist Miedtke besonders stolz. Licht gibt es in diesem alten Kabinett ganz bewusst fast keines, nur einige Messingleuchter werfen ein düsteres Licht auf den großen Kamin in der Mitte des Raumes. Was fehlt, ist allein ein Ohrensessel vor loderndem Feuer. Hier entsteht die erste deutsche Präsenzbibliothek, die alle deutschen Nachkriegs-Krimis versammeln soll. Ein ehrgeiziges Projekt, mit dem Miedtke einem gescholtenen Genre zu neuem Ansehen verhelfen will.

Eine Etage weiter haben die Kinder mit planen dürfen. Und so gibt es jetzt in „ihrem“ Teil der Bibliothek nicht nur Hängematten und ein Piratenschiff, auf dem Erzieher- und Elternkapitäne vorlesen können. Auch der Wunsch nach einem Aquarium wurde erfüllt, wenn auch nur virtuell. Sogar das Rauschen des Wassers muss man nicht missen.

Überhaupt hat überall die moderne Technik Einzug gehalten. Statt einst nur 10 hat die Bibliothek jetzt 100 PCs, 75 davon mit Internet-Anschluss. Auch Ausleihe und Rückgabe sind fortan weitgehend einem Computer und damit der Selbstbedienung vorbehalten. Wer damit nicht zurechtkommt, findet aber auch weiterhin eine klassische Ausleihe vor.

Sogar an all diejenigen, die nicht lesen, hat man gedacht. Deswegen ist in einem alten Kabinett eine bücherfreie Zone entstanden. Hier ist sogar Platz für Netzwerk-Partys computerspielender Kids. „Wir wollten für die Jugendlichen reale Lebenwelten schaffen“. Damit sie den Bibliothek entdecken – und am Ende auch lesen. Jan Zier