Wider die zelebrierte Niedlichkeit

Eigenwillige Mixtur, die sich jenseits des Manga-Kults verortet: Kengo Nakamura präsentiert in der Hamburger Galerie CAI Bilder, die wie Mondrians aussehen, in Wirklichkeit aber Grundrisse japanischer Wohnungen sind

Mit multimedial bespielten Eröffnungen versucht die Hamburger Galerie „Contempory Art International“ den Kulturaustausch mit Japan voranzubringen. Für ihre aktuelle Ausstellung des 1969 in Osaka geborenen Kengo Nakamura war eigens die Kunstkuratorin Yumi Yamaguchi aus Tokyo gekommen und stellte sich dem Gespräch zwischen zwei Welten.

Und die sind trotz scheinbarer Globalisierung und hierzulande genossener Mangas und Sushis noch immer grundverschieden. Denn Yumi Yamaguchi bezeichnet Tokio als ein schwarzes Loch, das kulturellen Input aus aller Welt aufsaugt, aber kaum etwas zurückkommuniziert. So bekomme die übrige Welt von der künstlerisch-soziologischen Entwicklung Japans – von alten Samuraiwelten bis zur aktuellen Obsession, die sich auf übergroße Mädchenaugen richtet, nur Klischees. Die mit Niedlichkeitswahn getränkte Gegenwartskunst sei in Japan vor allem ein Pop-Phänomen, sagt die Kuratorin. Ein subkultureller Lebensstil, der sich unter anderem darin äußert, dass sich selbst ernsthafte Geschäftsfrauen kleine weiße Plüschhäschen ans Handy hängen. Auch wäre es hierzulande kaum möglich, dass ein angesehenes Kunstmagazin mit kleinen Püppchen als Zugabe erscheint. Und selbst Yumi Yamaguchi, die sich zudem „Art Producer“ nennt, lanciert auf ihrer Internetseite „Tokyotrash“ eine von Künstlern gestaltete Puppenserie. Diese Produkte durchlaufen eine ganze Vermarktungsreihe, vom teuren Künstlerexemplar bis zur Hunderttausender-Auflage für den Supermarkt.

Auch von den Bildentwürfen des jetzt in Hamburg präsentierten Kengo Nakamura werden hier nun T-Shirts, Halstücher und Sticker in Serie verkauft. Doch der Künstler und seine ihn interpretierende Kunstkritikerin affirmieren zwar grundsätzlich die in japan üblichen Vermarktungsformen, verpacken darin aber ihre Kritik an den sonstigen Flachheiten. Dass japanische Kritik in Form leerer Sprechblasen dem Westeuropäer dabei eher freundlich vorkommt, ist dann wieder ein Teilphänomen des grundsätzlich anderen sozialen Verhaltens.

So ist denn in dieser Ausstellung in der Galerie CAI alles ein bisschen anders, als es auf den ersten Blick scheint. Eine ganze Wand zum Beispieil hängt voller Farbfeldbilder, die in schwarz umrandeten Rastern nur Weiß und klare Grundfarben bieten. Doch so sehr es auch danach aussieht – es sind keine Aneignungen Mondrian‘scher Methoden. Es sind auch keine Ölbilder auf Leinwand, sondern „nihon-ga“, traditionelle Pigmentmalerei auf Japanpapier. Doch diese Bilder der Serie Composition Tokyo inszenieren den Dialog mit dem Konstruktivismus von De Stijl und dem Neo-Geo des US-Amerikaners Peter Halley. Dabei sind es in Wirklichkeit teilweise ausgemalte Grundrisse von Tokyoter Einzimmerapartments, wie sie sonst farblos als billige Fotokopien in den Fenstern der Makler aushängen oder als Flyer in Umlauf gebracht werden.

Noch direkter auf den Alltag und seine bisweilen entleerten Kommunikationsformen referieren die in der Galerie und dem Vorraum in verschiedenen Formaten und Höhen gehängten monochromen Bildtafeln in modischen Farben. Auf ihnen befinden sich in zunehmender Anzahl die beiden lateinischen Buchstaben RE und ein Doppelpunkt. Das hier aus dem E-mail-Verkehr bekannte Zeichen gibt auch auf japanischen Mobiltelefonen die Frequenz eines Informationsaustausches an, an dessen inhaltlichem Betreff individuell nichts geändert wurde – es kann sich vor Beginn der japanischen Schrift im Display zu zeilenlangen Ketten aufbauen. Und glaubt man dem Künstler Kengo Nakamura und seiner Kuratorin, so zeigt sich in solcher immer noch sehr vorsichtiger (Selbst-)Kritik eine neue Generation japanischer Künstler, die sich jenseits des nur Hippen und Niedlichen verortet. HAJO SCHIFF

Composition Tokyo, CAI International, Klosterwall 13, Hamburg. Geöffnet Di–Fr 12–19, Sa+So 13–18 Uhr; bis 30. 11. www.cai-hamburg.de