kuckense mal auf bremens bühnen
: Gefressen, gesoffen, gefurzt: „Der Bajazzo – eine Unoper“

Auf einem Doppelbett räkelt sich eine dralle Schönheit. Ihre Augen sind in die Ferne gerichtet, sie träumt von ihrem abwesenden Liebhaber. Die Szene ist auf einem Bild zu sehen, das im Kontorhaus Schildstraße hängt. Plötzlich wird die Leinwand aus dem Rahmen getrennt und gibt den Blick auf einem Bühnenraum frei, in dem die Szene lebendig wird. Musik setzt ein, die Frau bewegt dazu ihre Lippen. Hinter ihr an der Wand hängt ein weiteres Bild: Das Porträt ihres Ehemanns. Das Licht geht aus.

Sobald man wieder etwas sieht, wird’s derb: Der junge Liebhaber hat den Kopf zwischen den Schenkeln der Schönen, während sich im Hintergrund das Bild des Ehemanns zu Seite schiebt und ein rächender Arm samt Dolch zum Vorschein kommt. Die jungen Liebenden beteuern im Playback ihre Unschuld.

Das soll Oper sein? Das Modelltheater Moskau, zur Zeit zu Gast in Bremen, nennt sein Stück „Der Bajazzo – eine Unoper“. Die russische Schauspieltruppe nimmt dafür Leoncavallos Erz-Oper „Der Bajazzo“ und beschäftigt sich intensiv mit deren zentralem Konflikt. Gespielt wird gut eine Stunde auf engstem Raum, die Arien kommen vom Band. Alles reduziert auf 50 Quadratmeter und 90 Minuten.

Im „Bajazzo“ geht es um Liebe, Eifersucht und Tod. Eine junge Schauspielerin verliebt sich in einen Bauernburschen, wird verraten und zusammen mit dem Liebhaber von ihrem Ehemann – ebenfalls Schauspieler – auf der Bühne ermordet.

Das Moskauer Modelltheater zeigt diesen Plot an einem Abend gleich dreimal, jeweils an einem anderen Ort im Kontorhaus. Im Foyer findet die Vorstellung der Charaktere statt, auf zwei getrennten Bühnen werden dann Szenen aus deren belanglosen Leben gezeigt. Zunächst sitzen die Menschen schlaff am Esstisch, es wird gefressen, gesoffen und gefurzt. Die eingespielten Arien transportieren auch keine wirkliche Leidenschaft. Die dramatische Geschichte des „Bajazzo“ spielt sich allerhöchstens im Kopf ab. Die Menschen sind viel zu matt, um sich groß aufzuregen. Erst im zweiten Raum werden kreative Energien freigesetzt. Die Schlaffsäcke ringen sich dazu durch, den Bajazzo-Stoff auf die Bühne zu bringen – was durch die Unfähigkeit der Laienschauspieler allerdings zur Schmierenkomödie gerät. Als Thema der „Unoper“ schält sich heraus: Die Rolle der Oper im Leben der Menschen bewusst zu machen, ohne selbst eine zu sein.

„Die klassische Oper steckt voller übertriebener Emotionen“, bestätigt Regisseur Anatoli Leducovskij. Ihm gehe es darum, die Illusion der Oper, die durch Überzeichnung entstünde, bewusst zu machen. „Die Menschen, die den ,Bajazzo‘ in dem Stück auf die Bühne bringen, sind einfache Bürger. Sie sind nicht fähig, etwas Besonderes aus ihrem Leben zu machen.“

Trotzdem seien sie getrieben von der Sucht nach „großen“ Gefühlen. Aus dieser Sucht ensteht im Kontorhaus ein packender Theaterabend. Tim Ackermann

Bis Sonntag täglich, jeweils 20 Uhr, Kontorhaus Schildstraße. Die taz verlost 5x2 Freikarten für die Freitagsvorstellung. Um 15 Uhr einfach anrufen: ☎ (04 21) 70 65 82