Die Wurst brutzelt unter fahlem Neonlicht

Urdeutsches Fleisch mit asiatischem Gewürz: Die Nachwuchsregisseurin Grace Lee widmet der Currywurst jetzt die Dokumentation „Best of the Wurst“. Darin entlockt sie Frittenbudenbesuchern ihre Lebensgeschichten

Gerhard Schröder hatte keine Zeit. Er sei wohl zu beschäftigt gewesen, vermutet Grace Lee. Dabei hätte er doch so gut in den Film der amerikanischen Nachwuchsregisseurin gepasst. Lee hat gerade die Dreharbeiten zu „Best of the Wurst“ abgeschlossen, einer Dokumentation für den Berlin Today Award, die auf der Berlinale im Februar zu sehen sein wird.

Die Hauptrolle spielt, klar, die Currywurst, deren vollendetes Exemplar Lee in Berlin sucht. Die filmische Adelung erfährt die Wurst zu Recht, ist sie doch auch Kanzlerwurst. Weil Schröder so demonstrativ keinen Hehl daraus macht, gelegentlich an Imbissbuden diese Kombination aus urdeutsch verwurstetem Fleisch und asiatischem Gewürz zu sich zu nehmen.

Autorin Lee hat Ersatz gefunden für den Kanzler. Bei Konnopke’s, bei Curry 36 oder bei Witty’s, den Szenetreffs der Berliner Currywurst-Fangemeinde. Ihr Film beschränkt sich nicht, wie der Titel suggeriert, auf die Suche nach der besten Wurst. Sie wolle vielmehr mit den Menschen ins Gespräch kommen, sagt die Regisseurin, die immer wieder selbst im Bild erscheint. Über die Wurst. In der ersten Frage geht es meist um das „persönliche Verhältnis zur Currywurst“. Sie fragt danach immer auf Englisch, was ein wenig lustig klingt – „personal relationship with curry-wurst“. Lee lenkt das Gespräch mit den Frittenbudenbesuchern dann zügig auf ihre Lebensgeschichten.

Damit das klappt, hat sie sich einen Pseudoplot ausgedacht und einen Schauspielpartner angeheuert. Der zeigt der Regisseurin die Stadt, weil sie angeblich überlege, von Los Angeles in die deutsche Hauptstadt zu ziehen. Die Leute sollen dann sagen, ob sie ihr das empfehlen können.

Schauspielpartner ist Wanja Mues. Er hat Grace Lee mit der Currywurst bekannt gemacht. Als sie einmal nach Berlin kam, hat Mues sie abgeholt und noch am selben Abend unter das fahle Licht einer Imbissbudenneonleuchte geführt. Lee war sehr angetan. Nicht nur von der Wurst. Auch von der Atmosphäre bei Witty’s, von den Leuten, die sie so bereitwillig in die Geschichte der Currywurst einwiesen. Mues selbst wusste nämlich nur eins: „Es gibt sie mit und ohne Darm.“ Die Szene von damals wiederholt Lee jetzt dutzendfach in ihrem Stück. Mit wechselnder Besetzung.

„Die Imbissbudenbesitzer sind immer ganz bescheiden“, erzählt Mues. „Die sagen dann: ‚Die Leute halten unsere Wurst für die beste. Weiß nicht, ob das stimmt.‘ “ Man treffe beim Currywurstessen „ein wahres Spiegelbild der Gesellschaft“ an. Während er das sagt, warten BVG-Beamte in Uniform und Studenten in Cordjacketts gemeinsam in einer Schlange vor Konnopke’s Imbiss. Herr Ziervogel steht in der Bude, die Arme abweisend vor der Brust verschränkt, und ärgert sich über das Interesse an seiner Wurst. „Eine Plage. Ständig fragt einer, ob er hier drehen kann oder über uns schreiben.“ Herr Ziervogel ist Herrn Konnopkes Schwiegersohn. Und irgendwann sagt Ziervogel dann tatsächlich: „Die Leute halten unsere Wurst für die beste. Weiß nicht, ob das stimmt.“

Draußen wird derweil deutlich, was „über die Wurst ins Gespräch kommen“ bedeutet. „Ist das deine erste Currywurst?“, fragt Lee einen kleinen Jungen. Als der nickt, erkundigt sich auch sein Vater noch einmal: „Hat die Mama nie eine mit dir gegessen?“ Marvin schüttelt den Kopf. „Ich sehe ihn nicht so häufig, wir sind geschieden“, erklärt der Vater. Und blickt ein bisschen betreten nach unten. Auf die darmlosen mit gelbem Currypuder bestreuten Wurstscheiben in der siffig-roten Sauce.

JOHANNES GERNERT