der konzertflügel von EUGEN EGNER
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Es überraschte mich nicht wenig, als mein inzwischen stark in die Jahre gekommener Vater sich zum Geburtstag einen Konzertflügel wünschte. Da hatte er aus Altersgründen soeben sein Kraftfahrzeug abgemeldet – und jetzt das! Andererseits: Platz und Zeit hatte er ja, seit meine Mutter tot war. Ich fragte ihn, ob er das Instrument in der nun leeren Garage unterzubringen gedächte. Nein, es sollte im früheren Esszimmer aufgestellt werden, das zu diesem Zweck auszuräumen und entsprechend neu zu tapezieren war. Schön. Warum auch nicht? Ich hatte Verständnis für seinen Wunsch, schließlich hatte ich mir vor kurzem eine billige E-Gitarre gekauft, um heimlich Siebener- und Neuner-Akkorde zu üben, da mochte mein Vater also erst recht Landsknechtlieder und Polkas auf seinem Pianoforte spielen.

Zum Glück wurde mir zu dieser Zeit gerade eine alte Sterbeversicherung ausgezahlt, und von dem reichlich sprudelnden Geld konnte ich einen hochwertigen Kruck-Flügel kaufen. Der wurde dann auch termingerecht geliefert, aber seltsamerweise lag im Resonanzboden meine verstorbene Mutter in ihrem mittelalterlichen Schneewittchenkleid. Es schien mir doch sehr die Frage, wie mein Vater darauf reagieren würde. Ich dachte schon: „Jetzt knallt er den Deckel gleich wieder zu und ist beleidigt“, aber erstaunlicherweise fasste er die Sache völlig anders auf. So hätten seine Wehrmachts-Briefe aus der Wüste sie doch noch erreicht, äußerte er mild gestimmt, dabei habe er doch nur ihre alte BDM-Adresse in Ostpreußen gehabt! Eine glückliche Fügung mithin! Nun stehe einer Familiengründung nichts mehr im Wege, auch ich sei herzlich zur Mitwirkung eingeladen. Wenn erst einmal die Reihe der obligatorischen Totgeburten durch wäre, könnte ich gern als Sohn fungieren.

Einstweilen schickte er mich in den Keller, um eine Flasche Champagner zur Begrüßung zu holen. Die Zeit bis zu meiner Rückkehr nutzte er, um den Hochzeitsmarsch von Mendelssohn mit bloßen Händen aufs Klavier zu übertragen. Als ich zurückkam, stand meine Mutter in der Diele und redete munter drauflos. Sogar Italienisch konnte sie, wenn auch mit falscher Aussprache. Ich fragte mich, ob ihr das viele Reden wohl gut bekäme, und fürchtete, es könne einen Rückfall verursachen. Doch konnte ich mich damit nicht aufhalten, denn ich musste schleunigst in die Küche und die Champagnerflasche öffnen.

Sobald ich den Scheißkorken endlich draußen hatte, rannte ich mit der noch halb vollen Flasche zu meinen Eltern. Dort hatte sich die Szene inzwischen dramatisch verändert. Meine Mutter lag wieder dreivierteltot im nunmehr zum Sterbebett umfunktionierten Konzertflügel, der vollautomatisch brummte und schnurrte. Etliche Verwandte und Bekannte standen im Zimmer herum. Aller Augen waren auf meinen Vater gerichtet. Er trug einen langen, perlmuttfarbenen Arztkittel und erklärte mit lauter Stimme, nach dem Tod seiner Frau werde er diese sofort öffnen lassen, damit die Innereien herausgeholt würden. Dazu machte er entsprechende Gesten. Auf dem Nachbargrundstück hämmerten die Kinder schon den Sarg zusammen. Ich schlich in die Küche und leerte die Flasche vollends.