„Man sollte nicht jedes Podium verlassen, auf dem die Rechten sitzen“, sagt Kerstin Müller

Die Parlamentarier müssen den Neonazis mit Argumenten begegnen und die Bundesländer vor Ort aktiv werden

taz: Die NPD hat in Sachsen fast so viele Stimmen wie die SPD. Waren Sie schon einmal in den dortigen NPD-Hochburgen?

Kerstin Müller: Ich bin als Fraktionsvorsitzende sehr viel in den neuen Bundesländern rumgekommen und habe auch jetzt immer wieder als Staatssekretärin im Auswärtigen Amt Veranstaltungen in den neuen Bundesländern gemacht. Es gibt dort, das zeichnete sich schon Mitte der 90er-Jahre ab, eine von rechts dominierte Jugendszene. Die NPD hat Netzwerkcharakter in Sachsen und ist gut vor Ort verankert, was sehr erschreckend ist.

Laut Aussagen von Politikerkollegen kommen die NPD-Stimmen von protestierenden Arbeitslosen und enttäuschten Ossis.

Dem Phänomen kommt man nicht bei, indem man jetzt nur von Protestwählern spricht und glaubt, dass man das Problem mit einem Wirtschaftsaufschwung Ost schon irgendwie in den Griff kriegt. Fatal ist auch die Gleichsetzung von PDS und Rechten. Außerdem: Man vergisst die Opfer. Der Migrantenanteil in ostdeutschen Städten ist zwar relativ gering, aber viele leben in Angst. Oder die linke Jugend- und Kulturszene, die mir berichtet hat, dass sie Angst hat und sich nicht frei bewegen kann. Wir haben als Gesellschaft und als Politiker die Aufgabe, auch die Opfer zu schützen und gesellschaftliche Freiräume für die Rechte nicht zuzulassen.

Was schlagen Sie vor?

Man muss auf verschiedenen Ebenen eingreifen. Es gab sehr viel Unmut über die Hartz-Reformen, ganz wichtig wird also die wirtschaftliche Perspektive Ostdeutschlands sein. Aber im Kampf gegen Rechtsextremismus muss zuallererst gelten: den Rechtsextremen keine gesellschaftlichen Freiräume lassen. Das heißt, die Landespolitiker müssen das Problem rechter Jugendkultur offensiv angehen.

Also von Nazis beherrschte Jugendzentren schließen?

Wir müssen als Erstes mit Sozialarbeit und Programmen jene unterstützen, die für eine offene Gesellschaft stehen, gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Da muss man mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Zweitens sollte man in den Schulen das Thema nicht tabuisieren, sondern offensiv thematisieren.

Wird Rechtsextremismus an den Schulen zu wenig behandelt?

Ich habe seinerzeit die Erfahrung gemacht, wenn ich angeboten habe, als Politikerin mit Schülern zu diskutieren, dann kam gerade in Ostdeutschland oft der Einwand: Wir wollen Politik nicht an der Schule. Wenn ich aber mitbekommen will, wie Politik funktioniert und welches Spektrum es gibt, ist es falsch, die Schule zum politikfreien Raum zu erklären.

Wo im Spektrum steht die NPD denn?

Mein Eindruck ist, dass mit der NPD vor Ort, in den Gemeinden, aber auch auf Ebene mancher Bundesländer, umgegangen wird wie mit irgendeiner „normalen“ Partei. Wird darüber gesprochen, dass die NPD nicht auf dem Boden der Verfassung steht, eine Diktatur einführen will sowie menschenverachtend und minderheitenfeindlich ist? Ich habe nicht den Eindruck, dass das zum Thema gemacht wird und dass die sächsische Landesregierung sich diesem Thema ausreichend gewidmet hat.

Sie sind selbst Teil einer Regierung. Was tut der Bund?

Der Kanzler hatte mal vor einiger Zeit den Aufstand der Anständigen gefordert. Das sind schon wichtige Signale.

Die Forderung ist vier Jahre her und weitgehend versandet.

Seitdem gab es Programme wie Civitas, die auch fortgeführt werden. Wir könnten überlegen, einen Anlauf zu starten. Aber es ist auch nicht alleine Aufgabe der Politik, sondern ebenso von Wirtschaft, Gesellschaft und Öffentlichkeit. Es ist auch wichtig, dass es vor Ort Zivilgesellschaften gibt, die sagt, „Das lassen wir nicht zu“, und die wir politisch unterstützen.

Und wie kann man die Position der Migranten stärken? Wohl kaum mit endlosem Gezerre um Zuwanderungsfragen.

Das sind gesellschaftliche Signale, die nach hinten losgehen. Allerdings daran, wie die NPD arbeitet, dass sie sich vernetzt, dass sie in der Jugendkulturszene verankert ist, dem wird man mit gesellschaftlichen Signalen auch nicht begegnen können.

Jetzt sitzen NPD und DVU in den Landtagen – wie geht man mit ihnen dort am besten um? Ächtung oder Zähmung?

Ich glaube, dass sich NPD und DVU durch den normalen politischen Alltag ein Stück weit selbst entzaubern werden. Denn das, was sie bisher an Anträgen eingebracht haben, ist teils absolut lächerlich, teils dumm und entspricht nicht dem, was sie versprochen haben. Ignorieren und wegsehen wäre falsch. Man muss zum Beispiel die Anträge der NPD bekannt machen.

Macht man die Rechten nicht erst recht salonfähig, wenn man sich ihnen sachlich und konstruktiv widmet?

Es geht nicht um konstruktiv. Aber wer von ihren Wählern weiß, welchen Unfug die erzählen? Ich denke, man sollte auch nicht jedes Podium verlassen, auf dem sie sitzen. Wenn über 9 Prozent der Wähler für die NPD stimmen und man verlässt den Tisch, an dem die NPD-Vertreter sitzen, dann grenzt man ja auch all diese Wähler aus. Ich glaube, dass unsere Demokratie so gefestigt ist, dass der Wahlsieg der Rechten sie nicht erschüttern wird. Aber man muss sich dennoch offener mit dem Rassismus der Mitte auseinander setzen.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN,
REINER METZGER