Medienansturm in Virginia Beach

Vor einem Jahr terrorisierten Scharfschützen Vororte von Washington und erschossen zehn Menschen. Am Dienstag begann der Prozess gegen die beiden Angeklagten

WASHINGTON taz ■ Kaum hat sich Virginia Beach vom Hurrikan „Isabel“ erholt, wird der Badeort an der Atlantikküste von einem neuen Ansturm heimgesucht: Hunderte Journalisten verfolgen hier seit Dienstag den Prozess gegen John Allen Muhammad, einen der beiden mutmaßlichen Heckenschützen, der vor einem Jahr gemeinsam mit seinem jugendlichen Komplizen Lee Malvo die Vororte von Washington drei Wochen lang in Atem hielt. Beide sollen zehn Menschen erschossen haben.

Muhammad, der sich zunächst in nur einem Mordfall verantworten muss, erklärte am ersten Verhandlungstag erneut seine Unschuld. Das wird die Ankläger nicht davon abhalten, die Todesstrafe zu verlangen – eine Forderung, die umstritten ist. Bislang konnte nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, wer von den beiden auf welches Opfer die tödlichen Schüsse abfeuerte.

Die Anklage beruht ausschließlich auf indirekten Indizien. Es gibt keine Augenzeugen, keine Videoaufnahmen, und auch der junge Malvo hat bislang keine belastende Aussage gemacht. Dennoch ist die Beweislage erdrückend. DNA-Analysen, Fingerabdrücke, Schuss-Untersuchungen und die Tatwaffe, die im Auto bei der Festnahme gefunden wurde, lassen nicht viel Interpretationsspielraum. Malvos Verteidiger hoffen aber immer noch auf ein Geständnis ihres Mandanten. Indem sie versuchen nachzuweisen, dass Malvo von dem Mann, den er „Vater“ nannte, so stark unter Druck gesetzt wurde, dass er als vermindert schuldfähig angesehen werden muss, könnten sie auf „lebenslänglich“ plädieren und ihn zu einer Aussage gegen Muhammad bewegen.

Auch wenn letztlich der Attentäter nicht zweifelsfrei erwiesen werden kann, wird die Anklage mit einer neuen Anti-Terror-Verordnung in Virginia argumentieren. Die sieht die Todesstrafe auch vor, wenn ein Verbrechen darauf abzielt, Öffentlichkeit und Regierung einzuschüchtern.

Obwohl sich die Mordserie über die Bundesstaaten Maryland, Virginia und die US-Hauptstadt erstreckte, drängte US-Justizminister John Ashcroft auf eine Anklage in Virginia. Richter in diesem Bundesstaat gelten als zuverlässige Verhänger der Todesstrafe. Zudem ist die Exekution von Minderjährigen erlaubt. Malvo war zur Tatzeit 17 Jahre alt.

In dem Prozess geht es nicht nur um kaltblütige Mörder. Der Fall wird einmal mehr zur Auseinandersetzung um die Todesstrafe. Während Verteidiger Jonathan Shapiro ein vehementer Gegner ist, hat Hauptankläger Paul Ebert bislang so oft die Todesstrafe beantragt wie kein anderer in Virginia.

Ursprünglich sollten die Prozesse – Malvos Verhandlung beginnt im November – vor den Toren Washingtons stattfinden. Der zuständige Richter verlegte sie jedoch in das 250 Kilometer entfernte Virginia Beach mit der Begründung, die aufgeheizte Presseberichterstattung des vergangenen Herbstes mache die Bildung einer unabhängigen 15-köpfigen Jury unmöglich und das Strafmaß werde nicht anhand der Beweislage, sondern durch emotionsbefangene Juroren festgelegt.

Der Stadt droht angesichts des Medienrummels, strenger Sicherheitsvorkehrungen und wochenlanger Verhandlungsdauer der Verkehrsinfarkt. Dennoch ist sie bestens für die Verhandlungen geeignet. Sie verfügt über brandneue Gerichtsgebäude mit Hightech-Überwachung, angeschlossenem Gefängnistrakt und eigenem Pressezentrum.

MICHAEL STRECK