„Bio-Müsli-Schule“ sucht Freunde

Hamburger Waldorfschulen laden für Samstag zum offenen Dialog über Bildung in die Kampnagel-Hallen ein. Der Schul-Geschäftsführer Matthias Farr im taz-Interview

Hamburg taz ■ Die Rudolf-Steiner Schulen laden für morgen zu einem „Aktionstag“ (11 bis 20 Uhr) in die Hamburger Kampnagelhallen ein. Die taz sprach mit Matthias Farr, Geschäftsführer der Waldorfschule Wandsbek.

taz: Warum haben sie als Festredner Pisa-Koordinator Andreas Schleicher eingeladen?

Matthias Farr: Wir Waldorfschulen möchten uns an der bildungspolitischen Debatte der Stadt beteiligen. Und wir sehen, dass wir von der Struktur und der Schulorganisation her den Pisa-Sieger-Ländern wie Schweden und Finnland sehr ähnlich sind. Da ist zum Beispiel die Frage der negativen Auslese nach Klasse 4 nach drei Schulformen. Wir teilen nicht auf, sondern lassen alle Schüler gemeinsam wachsen und lernen. In Finnland und Schweden lernen die Kinder auch 8, 9 Jahren zusammen und teilen sich dann auf eine vielschichtiges System von Oberstufen auf. Wir als Waldorfschule haben sogar als einzige eine zwölfjährige Gesamtschule und auch dort noch ein Leistungsspektrum vom potenziellen Hauptschüler bis zum Gymnasiasten, das gemeinsam lernt.

Aber fast ohne Migranten.

Das stimmt. Unser Ausländeranteil liegt zwischen zwei und drei Prozent. Aber unter unseren Eltern gibt es genauso viele Alleinerziehende und Arbeitslose wie in der Gesellschaft auch. Wir grenzen niemanden aus. Auch nicht über das Schulgeld, da gibt es die notwendigen Ermäßigungen. Das einzige Kritierium ist aber, dass die Eltern eine bewusste Entscheidung treffen. Denn wir als Waldorfschule sehen Erziehung als gemeinsamen Auftrag von Eltern und Schule. Wenn Eltern dazu ja sagen, ist das die halbe Miete. Deshalb haben wir engagierte Eltern. Die gebildete Mittelschicht ist allerdings stark vertreten. Ich glaube, viele ausländische Mitbürger kommen gar nicht auf die Idee, eine andere Schulentscheidung zu treffen.

Als Hamburgs Bildungssenatorin die Klassen vergrößerte, verwies sie auf die Waldorfschulen. Weil dies ja dort gut funktioniere.

Wir haben Klassen mit 35 Schülern, unsere Lehrer begrüßen dies und wollen auf die dadurch entstehende Vielfalt in den Klassen nicht verzichten. Aber mit einer anderen Klientel, zum Beispiel vielen Kindern nicht-deutscher Muttersprache, wäre Unterricht in diesen Klassengrößen schwierig. Dazu muss ich sagen, dass das Schüler-Lehrer-Verhältnis besser ist und zwischen 1 zu 13 und 1 zu 16 liegt. Wir teilen und dritteln die Klassen sehr oft.

Warum jetzt diese Öffentlichkeitsoffensive. Fehlen Ihnen Schüler?

Wir werden von der Stadt Pro-Kopf bezuschusst. Vordergründig geht es deshalb auch darum, weiterhin volle Klassen zu haben. Aber wir wollen auch einfach die bildungspolitische Diskussion mit bewegen. Wir wollen Freunde finden. Die Stadt soll sehen, was die Waldorfschulen machen. Da gibt es auch Vorurteile.

Die wären?

Na, zum Beispiel, dass da nur die Reichen und Dummen hingehen, um ihr Abi zu machen. Oder das wir so eine ‚Bio-Müsli-Schule‘ sind. Es stimmt, in unseren Kantinen gibt es zu 70 Prozent gesundes Essen. Das finden wir aber nicht schlimm, es ist eher ein Qualitätsmerkmal.

Kann es sein, dass Waldorf zu missionarisch auftritt?

Das trifft vielleicht auf die Vergangenheit zu. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Fernseh-Verbot. Da kamen schon so Geschichten vor, dass Eltern ihr Gerät versteckten, wenn der Lehrer zum Hausbesuch kam. Wir finden heute, dass sich mit dem Thema Medien mit den Eltern gemeinsam auseinandergesetzt werden muss. Die Medien gehören einfach zum Alltag dazu.

Interview: Kaija Kutter