Ein Rolls-Royce im Berliner Kunstherbst

Zeitgleich zur Kunstmesse Art Forum bietet der „1. Berliner Kunstsalon“ einen repräsentativen Blick auf die hiesige Freie Szene. Die Magazinhalle des Arena-Geländes in Treptow wird dabei zum Labor, in dem sich Kreativität mit Subversion verbindet

VON TIM ACKERMANN

Im Jahre 2004 ist Berlins Kunstlandschaft von Kulturpolitikern besetzt, die eine Mammutveranstaltung nach der anderen zum ultimativen Event hochjubeln. Die ganze Berliner Kunstlandschaft? Nein, denn im entlegenen Treptow gibt es eine Gruppe von unbeugsamen Kulturschaffenden, die Qualitätskunst jenseits von MoMA und Flick zeigen.

Der „1. Berliner Kunstsalon“ hat die alte Magazinhalle des Arena-Geländes okkupiert. Noch bis Sonntag präsentieren sich dort Künstlergruppen, Kuratorennetzwerke und Galerieprojekte der Freien Szene. Wer jetzt ob des Stichworts „Off-Szene“ an Trash-Kunst denkt und die Hand zum gönnerhaften Schulterklopfen erheben will, liegt falsch. Zu Beginn des Kunstherbsts gibt es nichts, was so kickt wie dieser Kunstsalon.

Es beginnt schon bei der Wahl des Ortes: Die Industriehalle mit ihren schmuddeligen Oberlichtern, frei liegenden Leitungen und dem Steinfußboden hat Labor-Atmosphäre – viel Kreativität gepaart mit Subversion. Die Herren Engler und Piper – Betreiber der gleichnamigen Galerie und Initiatoren des Kunstsalons – haben zwei Monate geschuftet, um weiße Wände einzuziehen, die die 3.900 Quadratmeter große Halle in einen labyrinthischen Ausstellungsparcours verwandeln. Wunderschön flaniert man jetzt zwischen luftigen Buden, die andere Messebetreiber mit Neid erfüllen würden.

Stichwort „Messe“: Edmund Piper behauptet, dass der Salon nicht als Konkurrenz zum Art Forum Berlin geplant worden sei, obwohl er zeitgleich mit der Kunstmesse an den Start ging. Der Galerist sieht sein Projekt eher als überfällige Ergänzung. „Mich hat geärgert, dass es ein Art Forum in Berlin gibt, bei dem bestimmte Teile der lokalen Kunstszene einfach nicht dabei sind“, sagt Piper. Ein Rundgang macht schnell klar: Im Gegensatz zur Messe ist der Kunstsalon wirklich „made in Berlin“. Er zeigt die Lebendigkeit der Szene, die in den Reden von Kulturpolitikern so gerne beschworen wird.

Ein Grund ist, dass die niedrige Pauschalgebühr für die Buden die Projekte und Galerien nicht zur Präsentation gefälliger Verkaufskunst zwingt, sondern auch mal Raum für Experimente lässt: Beim Paradiesprojekt gibt es zum Beispiel ausschließlich überdrehte Aktionskünstler zu bewundern, die entweder aus dem Kaffeesatz lesen oder Heiratsvermittler spielen, indem sie zwei Singles in eine Blind-Date-Hütte locken.

Wer eher wegen des Kunstgenusses da ist, wird vielerorts fündig, etwa beim Atelierhaus Meinblau: Volker Gerlings frei hängender Lesetisch mit Daumenkinos und passenden Hintergrundgeschichten und Sarah Thußbas Frauenporträt mit eingebauter Rezeptionsanweisung sind schöne narrative Kunstwerke. An anderer Stelle blickt man überrascht auf einen Rolls-Royce, den der holländische Künstler Dirk Krechting zu einem Aquarium samt Piranhas umgebaut hat: Das Ex-Statussymbol ist trotz jetziger Unbrauchbarkeit nur für den Preis einer kleinen Villa zu erwerben.

Preisgünstiger geht bei der Urban Art Factory zu. Die Geschwindigkeit, mir der die Street-Art-Künstler neue Filzstiftpunkte neben ihre Schablonenbilder setzen, zeigt nicht nur, dass sich Graffiti-Kunst problemlos in den Kontext einer Ausstellung integrieren lässt. Auch für Sammler scheint Street Art mittlerweile attraktiv zu sein. Das ist der schönste Eindruck, den der Kunstsalon hinterlässt: Die Freie Szene machte stets vielfältige, niveauvolle Kunst – und manchmal wird das von den Berlinern auch honoriert.

Bis 26. 9., Arena-Gelände, Magazinhalle. Täglich von 10–23 Uhr. Weitere Infos unter www.berlinerkunstsalon.de