fünf franken und das rätsel um die finnen erster klasse von WIGLAF DROSTE
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Die Finnen waren hackedicht. Es war zwei Uhr mittags, der verspätete ICE aus München bewegte sich zögernd Richtung Berlin, und die beiden Finnen am Nebentisch im Speisewagen waren blitzeblau. Sie waren Ende 30 und trugen teure Freizeitkleidung, der eine war füllig, ein dunkler Haarkranz rahmte eine Badekappenglatze ein, unter der ein glattes, jungenhaftes Gesicht den Betrachter über das Wesen seines Besitzers zu täuschen versuchte. Der Mann sah freundlich aus, hatte aber überhaupt keine Zeit, es zu sein. Er hatte zu tun: Vor sich hatte er drei Gläser stehen, zwei größere, von denen eins mit Rotwein und das andere mit Bier gefüllt war, und ein kleines, das eine farblose, durchsichtige Flüssigkeit enthielt, bei der es sich nicht um Wasser handelte. Neben den Gläsern lag ein Mobiltelefon.

Sein Gegenüber war schlank, gesichtszerknittert und hatte volles Haar in der Farbe verwaschener beige-brauner Socken. Seine Haut war so stumpf, als sei sie mit Sand abgestrahlt worden. Vor ihm stand das gleiche Dreihandherrengedeck. Beide sprachen den Getränken mit einer Munterkeit zu, an der nichts Leichtes oder Heiteres war, obwohl sie beide andauernd lachten, einander ihre Fahrkarten zeigten und „First Class! First Class!“ riefen. Trinken ist kein Vergnügen, Betrunkenwerden ist schwere Arbeit.

Badekappes Telefon gab ein Gurgeln von sich. Er schnappte sich seine Kleinelektronik, schrie hinein und blieb sitzen. Er war nicht absichtlich unhöflich, er wollte nur nicht fort aus dem Speisewagen, denn nur hier war sein Nachschub gesichert. Wann immer eines seiner Gläser halb leer war, rief er voller Angst nach der Kellnerin. Er rief oft, eigentlich rief er die ganze Zeit.

Der sockenhaarfarbene Finne war stiller, aber nicht minder durstig, auch er orderte in hoher Schlagzahl nach. Wenn der Zug schlingernd ruckelte, griff er schützend nach seinen Gläsern und hielt sie fest, ganz zart, als seien sie Babys. Er brauchte, was in den Gläsern war, kein Tropfen durfte verloren gehen.

Drei Frauen und zwei Männer betraten den Waggon und quetschten sich an einen Vierertisch. Sie hatten Mühe damit, jeder der fünf hatte ein Hinterteil, das kein Riese hätte umspannen können. Sie waren hörbar aus Franken, und sie sprachen über die Anziehungskraft zwischen Männern und Frauen, die in Franken aber „Errroodick“ heißt. Genau das muss man sich dort wohl auch darunter vorstellen.

Es ist eine Lüge, dass es im Zentrum des Orkans still sei. Die Franken errroodierten, Badekappe brüllte, so ging es die ganze Zeit, nie würde es aufhören. Auch Sockenhaars Telefon sonderte nun Geräusch ab; er nahm eine Art Haltung an und züngelte in Rudimentärenglisch hinein: „Yes. Very good. We’ll be right there. Five o’clock. In the meeting. Straight from the hotel.“

Straight war schön gesagt; am Berliner Ostbahnhof krabbelten die beiden First-Class-Finnen aus dem Zug, fünf fränkische Gewalthintern folgten ihnen. Ich sagte meiner Chronistenpflicht adieu. Wer aber Auskunft geben kann darüber, mit wem zwei finnische Koryphäen auf dem Fachgebiet der Promille am Nachmittag des 22. September 2004 noch geschäftlich zusammentrafen und was dabei besprochen wurde, der möge es tun.