Haltesignal überfahren

Stimmung und Zahlen sind mies: Doch Mehdorn raste weiter in Richtung Börsengang. Jetzt zog der Aufsichtsrat die Notbremse

VON KATHARINA KOUFEN
UND BERNHARD PÖTTER

Es ist ein zweischneidiges Lob: „Wir haben Herrn Mehdorn als jemanden kennen gelernt, der einen festen Händedruck hat und ein Freund sehr deutlicher Aussprache ist.“ So nahm gestern Michael Rogowski, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), seinen Duzfreund Hartmut Mehdorn gegen Kritik wegen eines extrem undiplomatischen Briefs (siehe Kasten) in Schutz. „Wir bleiben den Sachargumenten verpflichtet“, schrieb Rogowski, „wir führen keine Personaldebatten.“

Das tun andere. Die Verkehrsexperten der Fraktionen von CDU, FDP und Grünen legten dem Bahnchef gestern den Rückritt nahe. Nicht nur wegen des Briefes – sondern weil mit dem abgesagten Börsengang der Bahn bis 2006 und dem gescheiterten neuen Preissystems im vorigen Jahr der Bahnchef zwei „schwere strategische Fehler“ gemacht habe, sagt etwa Albert Schmidt, Verkehrsexperte der Grünen. Mehdorn führe die Bahn mit rigiden Mitteln, die Vorstandskollegen „betteln um Erlösung von ihrem Chef“.

Verkehrsminister Manfred Stolpe dagegen stellt sich hinter den Bahnchef. „Ganz sicher“ sei Mehdorn noch zu halten, an „seiner Person wird nicht gerüttelt“, heißt es aus dem Ministerium. Stolpe erinnert sich schließlich genau, wie es seinem Amtsvorgänger Kurt Bodewig im März 2001 erging, als der sich mit Mehdorn anlegte: Als Bodewig forderte, die Bahn müsse das Schienennetz aufgeben, wandte sich Mehdorn an einen anderen Duzfreund: Bundeskanzler Schröder gab dem Bahnchef echt, der Minister musste klein beigeben.

Oliver Kaufhold von der Bahn-Gewerkschaft Transnet sieht Mehdorn „persönlich beschädigt“. Der Bahnchef sei zum Thema Börsengang „immer vorneweg marschiert mit dem Fähnchen 2006“. Eine Kehrtwende sei schwer vorstellbar: „Mehdorn ist eine ehrliche Haut, der meint, was er sagt.“

Für viele Beschäftigte der Bahn ist genau das ein Problem. Mehdorns hemdsärmelige Art, sein oft schroffes Auftreten und sein gnadenloser Sparkurs haben die Stimmung bei den Beschäftigten so weit gedrückt, dass die Gewerkschaft handelte. Ihr Vorsitzender und Mitglied des Bahn-Aufsichtsrats, Norbert Hansen, schrieb am Montag einen Brief an den Chef des Gremiums, Michael Frenzel. Er beantragte eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrats, weil die „Ergebnisse des Unternehmens deutlich unter den Planwerten“ lägen und „die Belegschaft misstrauisch, stark verunsichert und zunehmend besorgt“ sei. Bis dato hatten die Gewerkschafter beim Thema Börsengang fest an Mehdorns Seite gestanden. Frenzel reagierte und verschob den Börsengang. Für Mehdorn ein herber Dämpfer. Der Mann steht immer unter Druck.

Und er ist stur. Die Bahnpreisreform zog er durch, obwohl von allen Seiten Protest auf ihn einprasselte – bis er das neue System zurücknehmen musste. Beim frühen Börsengang war die Bahn im Zugzwang, ist sich Tilman Heuser vom BUND sicher: Das Eigenkapital des Unternehmens sei inzwischen so sehr geschmolzen, dass es dringend frisches Geld brauche. Und nach 2006 könnte eine CDU/FDP-Regierung die Bahn zerlegen und ihre Stellung im europäischen Wettbewerb verschlechtern.

Anders als seine Vorgänger kommt Mehdorn nicht aus der Politik, sondern aus der Wirtschaft. Ihm fehlt diplomatisches Geschick, er beschimpft Kritiker, er nennt sein Unternehmen „die beste Bahn der Welt“. „Mehdorn hat nicht begriffen, dass er mit seinem Arbeitgeber spricht, wenn er im Bundestag auftritt“, heißt es. Andererseits weigerte er sich, das politische Prestigeprojekt Transrapid weiter zu unterstützen.

Angetreten ist der 60-Jährige mit dem eruptiven Charakter um aus der Bundesbahn einen modernen Konzern zu machen. Was ihm als Pünktlichkeitsdebatte auf die Füße fiel, hatte er eigentlich als „Benchmarking“ gedacht – der Versuch, eigene Maßstäbe in Sachen Pünktlichkeit aufzustellen. So ließ er Tafeln auf den Bahnsteigen anbringen, auf denen sämtliche Verspätungen gezählt wurden.

Ist es für Mehdorn nun zu spät? Seine beste Jobgarantie ist sein Job. „Ich kann mir keinen Manager vorstellen, der diesen Schleudersitz übernimmt“, sagt Tilman Heuser. Albert Schmidt dagegen meint, es gäbe Anwärter auf den Posten an der Spitze der Bahn. „Bereits vor einem Jahr ist angefragt worden und es kam kein Nein.“ Namen nennt er allerdings nicht.