Fünf-Prozent-Hürde wieder aufbauen?

Am Sonntag ist NRW-Kommunalwahl. Splitterparteien in rot, braun und bunt-kariert werden in die Stadträte einziehen. Eine Gefahr für die Demokratie, finden manche. Hilft zum Schutz vor Extremparteien der Wiederaufbau der Fünf-Prozent-Hürde? Oder gilt Barrierefreiheit für Außenseiter?
VON KLAUS JANSEN

Bei der Kommunalwahl vor fünf Jahren sind sie in die Rathäuser eingezogen: Die PDS in Düsseldorf, die DVU und die FDP in Dortmund, die Republikaner und das MLPD-nahe Bündnis AUF in Gelsenkirchen, dazu zahlreiche Wählergemeinschaften. Was die Parteien und Bündnisse eint: Vor zehn Jahren hätten sie die Ratssitzungen von der Zuschauertribüne aus verfolgen müssen – sie wären an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Seit 1999 existiert diese Barriere nicht mehr. Das NRW-Verfassungsgericht in Münster gab einer Organklage der PDS und der ÖDP recht. Doch nach den Wahlerfolgen der NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg wird in NRW über den Wiederaufbau der Fünf-Prozent-Hürde bei den Kommunalwahlen diskutiert.

So fordert der Josef Hülsdünker, DGB-Chef in der Emscher-Lippe-Region, dass die Klausel reanimiert wird: „Räte, die aus Splitterparteien bestehen, haben in der Vergangenheit weder zu mehr Demokratie, noch zu einer besseren Politik geführt.“ Die Handlungsfähigkeit der Politik könne Schaden nehmen.

Anders argumentiert Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen: „Die Vielfalt des Bürgerwillens darf nicht eingeschränkt werden“, sagt er, „die Fünf-Prozenthürde auf kommunaler Ebene ist nicht sinnvoll.“ Sollten Splittergruppen stark werden, sei das Verantwortung der etablierten Parteien, die nicht genügend Problemlösungen anbieten.

Gilt also nun Artenschutz für Mitteparteien oder Narrenfreiheit für Neonazis? Die taz diskutiert mit.

PRO

Stimmen die Umfragen zur Kommunalwahl, dann haben Republikaner, DVU und NPD keine Chance. Im Nirwana-Bereich - zwischen 1 und 3 Prozent - werden die Extremen taxiert. Ein Grund zur Freude. Eigentlich. Denn trotzdem werden die Rechten an Rhein und Ruhr Triumphe feiern. Weil es bei der Kommunalwahl keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, läuft die braune Soße in die Stadträte. Dutzende Rechte dürfen in die Rathäuser.

Die Barriere für politische Sektierer gilt eigentlich bei allen Wahlen - nur in den Kommunen herrscht seltsamerweise Narrenfreiheit für Neonazis. Dabei ist die Fünf-Prozent-Hürde ein Erfolgsmodell. Bei der Bundestagswahl 1969 hat das Stolper-Instrument die NPD aus dem Parlament herausgehalten. Ohne die Barriere hätte die Rechtspartei im Bundestag die Reformpolitik der 1970er Jahre verhindert - und einen Bundeskanzler Willy Brandt hätte es wohl nie gegeben. Auf Bundes- und Landesebene stellt kaum noch jemand die Politikmauer in Frage. Die Fünf-Prozent-Hürde ist Konsens. Das Bundesverfassungsgericht hat sie in mehreren Urteilen bestätigt. Karlsruhes Abwägungsentscheidung: Die Arbeitsfähigkeit des hohen Verfassungsorgans Parlament ist wichtiger als die zu 100 Prozent akkurate Abbildung des Wählerwillens in der Legislative. Artenschutz für Mitteparteien, ein Schutzwall der etablierten Politik, sei die Fünf-Prozent-Hürde, lautet das Standardargument gegen die Schwelle. Das Gegenteil ist wahr: Gerade durch den Wegfall der Hürde sind die beiden Großparteien in den NRW-Kommunalparlamenten seit 1999 noch gestärkt worden. CDU und SPD profitieren vom Kleinklein der Einzelinteressen, von der Zersplitterung der Stadträte. Weil sich vielerorts keine kleinen Koalitionen mehr bilden lassen wegen REP, MLPD und Kunterbunt-Ratsherren, verbünden sich die Riesen gegen die Zwerge. Das Chaos in den Räten stärkt zudem die Macht der direkt gewählten Bürgermeister. Die meisten Bundesländer setzen auch bei der Kommunalwahl auf die Sperrklausel. Nur die Kumulierer und Panaschierer in Süddeutschland verzichten auf die nette, kleine Hürde. In NRW ordnete der Verfassungsgerichtshof 1999 das Ende der Fünf-Prozent-Hürde nur an, weil sich die Landespolitik zuvor schlampige Formfehler geleistet hatte. Mit einem neuen Gesetz könnte man dieses Malheur wieder korrigieren. Baut die Hürde wieder auf!

MARTIN TEIGELER

CONTRA

Die Fünf-Prozent-Hürde steht der Demokratie auf kommunaler Ebene ungefähr so gut zu Gesicht wie eine Zahnspange mit Nackengurt. Ohnehin ist das politische Engagement zu gering, ohnehin werden vor allem junge Menschen von den Altherren-Strukturen der etablierten Parteien abgeschreckt. Wenn man diejenigen, die sich in Bürgerinitiativen und Wählergemeinschaften auf eigene Faust auf dem Weg ins Rathaus aufmachen, durch ein fünfprozentiges Monster abschreckt, gehen noch mehr Menschen dem „offiziellen“ Politikbetrieb verloren – und ziehen sich entweder ins Private zurück, oder artikulieren ihre Meinung auf der Straße. Wer politisches Engagement fordert, darf dem keine Steine in den Weg legen.

Sicher, von einen Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde profitieren – nicht nur, aber auch – Neonazis und Post-Stalinisten. Hässlich ist das ohne Zweifel. Nur geht die Gefahr von Rechtsradikalen nicht von zwei durchgeknallten Ratsherren aus. Die können höchstens sinnfreie Anträge stellen und den anderen Fraktionen auf den Wecker gehen, aber keinen ernsthaften Schaden anrichten. Zumal den braunen Apfel-Holgern dieses Landes auf kommunaler Ebene keine Fernsehkameras vor die Nase gehalten werden, in die sie ihr Hirn und ihren Magen entleeren können. Hinzu kommt: Vier Prozent rechte Wähler in einer Stadt bleiben vier Prozent rechte Wähler in einer Stadt, ob nun mit einem Funktionärssitz im Rat oder ohne. Das Problem liegt vor allem auf der Straße, und man schafft es nicht aus der Welt, indem man die Rathaustür zusperrt.

Die Fünf-Prozent-Hürde ist in ihrem Kern undemokratisch, weil sie Wählerstimmen für Außenseiter verfallen lässt. Sie ist eine politische Subventionierung der etablierten Parteien. Dass diese geschützt werden müssten, siehe Weimar, ist kein hinreichendes Argument für ihre Existenz – zumal auf kommunaler Ebene. Politischer Stillstand entsteht nicht mehr durch die berüchtigte Zange linker und rechter Extremparteien, sondern weil die Etablierten Angst davor haben, den Mainstream der Mitte zu verfehlen.

Vor allem so lange mangels direkter Demokratie durch Volksabstimmungen der Einfluss auf politische Entscheidungen auf Parteien beschränkt ist, muss zumindest jeder die Möglichkeit haben, barrierefrei auf diesem Weg sein Glück zu versuchen. Wer Hürden mag, sollte Leichtathlet werden!

KLAUS JANSEN