Die Delmenhorster Höhle

Zeichnen war schon immer Kult. Vor 15.000 Jahren, bei Leonardo, jetzt in der Städtischen Galerie DEL. Dort geht es vor allem um die Vernetzung aller „Drawings“

Die Zeichnung ist – laut Giorgio Vasari, dem theoriestarken Zeitgenossen von Leonardo da Vinci & Co – „der Vater aller Künste“. „Gezeichnet wird immer“, stellt auch ein frisch gedruckter Delmenhorster Ausstellungskatalog streng empirisch fest. Nur, dass es sich dabei um eine „mehr oder minder notwendige Randerscheinung im Betrieb zeitgenössischer Kunst“ handle. Wie solle sie sich auch gegen die „großformatige Buntheit der Malerei, die raumgreifende Plastik oder die klingende Bewegtheit von Video- und Filmprojektionen durchsetzen“?

Fragen, die sich damals in Lascaux oder Altamira noch nicht stellten. Um so stringenter werden sie jetzt in der Städtischen Galerie Delmenhorst behandelt. Kuratorin Barbara Alms hat zehn Positionen aktueller Kunst aufgeboten, um Vasaris Vaterschaftstheorie noch zu übertreffen. Ihre These: „Die künstlerische Zeichnung ist wie kein anderes Medium dazu angetan zu denken.“

Nun ist die Städtische Galerie nicht gerade eine steinzeitliche Höhle. Das imposante Treppenhaus ist dennoch ein passender Ort für ein beeindruckendes neongrünes Netzgeflecht – nicht Produkt einer Riesenspinne, sondern von Heike Weber mit einer Vielzahl von feinen Nägeln an die Wände geheftet.

Dazu gibt es die zu Recht als „trocken“ gerühmten Minimalismen von Harald Falkenhagen, der mit fünf Strichen die Parkettstruktur des Ausstellungsraumes erfasst hat. Oder die alchimistisch anmutenden Wandbilder von Hannes Kater, die per Legende als eine Art Schöpfungsanleitung zu lesen sind. Nicht zu vergessen: Alexander Roobs comic-hafte Sequenzen aus dem Aktstudio.

Ein Stockwerk tiefer setzt Roland Schapperts wieder auf das Einzelbild. Der Kölner hat die Tagesschau vom 13. Mai 2004 – Wolfowitz muss sich als stellvertretender Außenminister der USA zu den Foltervorwürfen äußern – zeichnerisch verfremdet: Der Ministerkopf wird zum Zitterporträt, das seinerseits wieder als Teil der Tagesschau-Installation fungiert: Journalismus als Objekt des Künstlers.

Die Städtische Galerie schafft es in der Tat, die aktuellen Möglichkeiten des Uraltmediums schlaglichtartig herauszustellen. Wer solcherart animiert die Wände seines eigenen Heims schonen möchte, kann übrigens die Netzadresse www.zeichnungsprojekt.de nutzen: Dort hat die Städtische Galerie ein einfach zu bedienendes Zeichenprogramm installiert, inklusive Online-Galerie. Eine Gelegenheit, sich in die 15.000-jährige Kunst- und Denkgeschichte einzureihen. Henning Bleyl

bis 31. Oktober