Spezialkliniken statt medizinischer Allroundversorgung

Neue Krankenhausfinanzierung krempelt Hamburger Gesundheitssystem um. Experten warnen vor Kliniksterben

„Der Verlust eines Krankenhauses ist in einer Metropole keine Katastrophe“

Hamburgs Gesundheitssystem steht vor dem Umbruch: „Es wird mehr Spezialisierung und Schwerpunktbildung in und mehr Kooperation zwischen den Krankenhäusern geben“, erwartet Gesundheitsstaatsrat Dietrich Wersich (CDU) für die nahe Zukunft. Immer mehr Krankenhäuser würden nicht mehr den Komplettkatalog anmedizinischer Versorgung bieten können. „Die Kliniken werden Leistungen abgeben müssen, die sie nicht mehr wirtschaftlich erledigen können“, ahnt der Hamburger Leiter des Angestellten- und Arbeiterersatzkassenverbandes (VdAK/AEV), Günter Ploß.

Hintergrund der Debatte auf einer gemeinsamen Fachtagung von VdAK/AEV und der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft (HKG) in der Hansestadt ist die ab 2005 greifende Umstellung der Klinikbudgets auf so genannte „DRG“-Fallpauschalen (Diagnosis-Related-Groups) für jede einzelne Krankenhausleistung. Gleicher Preis für gleiche Leistung heißt das Ziel des „zweiten Fallpauschalenänderungsgesetzes“, dass demnächst von Bundesrat und Bundestag verabschiedet werden soll.

Doch was in der Theorie gerecht klingt, wirft in der Praxis große Probleme auf. Denn aufgrund von Unterschieden bei Abteilungsgrößen, Geräte-Ausstattung, baulichen Strukturen und Patientenprofil sind die Kosten der gleichen Operation von Klinik zu Klinik verschieden. Zukünftig dürfen sie nun einen mittleren Satz nicht mehr überschreiten. Das alte Abrechnungssystem soll schrittweise innerhalb von vier bis fünf Jahren durch das neue ersetzt werden.

„Von den Details der Umsetzung hängt die Existenz ganzer Krankenhäuser ab“, ahnt Peter Steiner, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Dachverband der Klinikbetreiber. Weil viele Fragen noch ungeregelt seien, fordert auch Abshoff einen sanfteren Einstieg in das „DRG“-System und eine Verlängerung der Übergangsphase von vier auf fünf Jahre. So sei etwa die Finanzierung von Ausbildungsmaßnahmen durch die Kassen genauso ungeklärt wie die Abrechnung der medizinischen Leistungen für Kinder, die in der Regel aufwendiger sind als bei erwachsenen Patienten.

Da vor dem Hintergrund immer kürzerer Klinikaufenthalte nicht alle Krankenhäuser die Budgetumstellung überleben werden, sieht VdAK/AEV-Abteilungsleiter Theo Riegel „die allgemeine Gesundheits-Versorgung in der Fläche in Frage gestellt“. Für Hamburg befürchtet Staatsrat Wersich allerdings keine Versorgungslücken, sollte eine Klinik auf der Strecke bleiben: „Der Verlust eines Krankenhauses ist in einer Metropole keine Katastrophe.“

Bei der Fallpauschalenabrechnung würden die Kassen statt nur umzuverteilen gerne streichen: Kliniken, deren Kosten schon heute unter dem Mittelwert liegen sollen danach auch in Zukunft nicht mehr Geld bekommen. Ein Einsparvorschlag, der allerdings beim Hamburger Senat entschiedene Gegenwehr auslöst.

„Es gibt viele Krankenhäuser, die das Geld dringend brauchen – in denen Urlaubsgelder gestrichen, Tarifsteigerungen nicht bezahlt wurden und die Träger trotzdem zugebuttert haben“, sagt Wersich. Wer bereits jetzt rentabel arbeite, dürfe dafür nicht bestraft werden – bluten sollten nur die Kliniken, deren Leistungen zu teuer seien.

„Das neue Abrechnungssystem“, so wendet ein Controller des AK Barmbek auf der Diskussion ein, „bedeute das „Aus für die Quersubventionierung innerhalb einer Klinik“ – dass eine weniger profitable Abteilung von einer lukrativen mitfinanziert wird, werde es „in Zukunft nicht mehr geben“.

Der Staatsrat hingegen hofft, dass die beschriebene „Mischkalkulation“ zwischen Profit- und Non-Profit-Centern in den Kliniken auch weiterhin existieren werde – schließlich würden die Budgets durch den neuen Abrechnungsmodus nur umverteilt, nicht aber gesenkt. Wersich: „Was heute geht, kann deshalb auch morgen funktionieren.“

„Die Kliniken müssen Leistungen abgeben, die sie nicht wirtschaftlich erledigen“

Dieser Prognose aber widerspricht der Hamburger HKG-Geschäftsführer Jürgen Abshoff entschieden: „Wer die Kliniken mit DRGs auf ökonomisches Denken verpflichtet, kann nicht erwarten, dass sie unwirtschaftliche Abteilungen subventionieren und so am Leben halten.“ Ein Arzt drückt es am Rande der Veranstaltung anders aus: „Ein bisschen Markt ist wie ein bisschen schwanger.“

Der Mann weiß, wovon er spricht – er ist Gynäkologe.

Marco Carini