Getöse, und zwar böse

Dreck, Feuer und Seuchen: Seit 22 Jahren rüttelt die amerikanische Metalband Slayer an den Pforten der Hölle. Auch heute werden sie in der Arena wohl wieder Pfützen aus Blut und Schweiß produzieren. Passend zum Polit-Sound dieser Tage

VON HEIKO ZWIRNER

Das Böse feiert in diesen Tagen ein erstaunliches Comeback. Bernd Eichinger bringt einen Film ins Kino, der dem Führer vermutlich auch gefallen hätte, Nazis ziehen in die Landtage von Sachsen und Brandenburg ein, Terroristen massakrieren Schulkinder, US-Soldaten foltern Strafgefangene, Menschen werden vor laufenden Kameras enthauptet und die Hauptstadt schmückt sich mit Kunst, die mit Profiten aus Verschleppung und Zwangsarbeit zusammengekauft wurde. Die Dichte unbegreiflicher Ereignisse hat selbst die ansonsten eher dem Geist der Aufklärung verpflichtete Schweizer Zeitung Weltwoche dazu veranlasst, bei Baudelaire nachzuschlagen und darüber nachzudenken, ob es nicht die größte List des Teufels sei, uns glauben zu lassen, dass es ihn nicht gäbe.

Die vier Musiker der amerikanischen Metalband Slayer dagegen haben nie an der Existenz einer objektiven Macht des Bösen gezweifelt. Seit 22 Jahren rütteln sie an den Pforten der Hölle, um sämtliche Dämonen und Spottgeburten heraufzubeschwören, die sich dahinter verbergen. Schon das Cover ihrer LP „Show No Mercy“ ziert eine zottelige Bocksgestalt neben einem Pentagramm aus Schwertern, und der Titel des ersten Songs ist programmatisch: „Evil has no Boundaries“. Zu einer Zeit, als christliche Fundamentalisten Rockbands ernsthaft vorwarfen, arglose Jugendliche mit unterschwelligen Botschaften zu manipulieren und in die Fänge des Leibhaftigen zu treiben, ließen Slayer ihren Song „Hell Awaits“ mit einen furchteinflößend anschwellenden Geröchel beginnen, das sich rückwärts abgespielt als die Aufforderung „Join us“ offenbarte.

Doch während bei artverwandten Vorgängern wie der englischen Black-Metal-Band Venom die Entertainment-Qualitäten okkultistischen Brimboriums wichtiger waren als musikalische Finessen, unterschieden sich Slayer von ihrem kulturellen Umfeld durch die von außergewöhnlichen handwerklichen Fähigkeiten getragene Ambition, die Beschleunigung und Verdichtung des Metal-Genres bis an die Grenzen des Möglichen voranzutreiben. Slayer erhöhten die Substanz und die Sprengkraft ihrer Songs mit den Mitteln der Reduktion und lösten so Riots aus. Ihre Shows waren von Anfang an brutaler als die Auftritte anderer Bands. Ihre Anhänger prügelten derart heftig aufeinander ein, dass sich in den Moshpits regelmäßig Pfützen aus Schweiß und Blut bildeten, auf denen die Pogo-Tänzer ausrutschten. Von einem frühen Auftritt in San Diego ist überliefert, dass ein Fan von der Empore sprang und kopfüber durch die Bühne krachte. Die Ordner zogen in aus dem Loch und warfen ihn zurück ins Publikum.

Kurz vor Weihnachten 1986 erschien „Reign in Blood“. Das dritte Slayer-Album gehört auch nach fast 20 Jahren zum Härtesten und Extremsten, was jemals in Gestalt eines Tonträgers in Umlauf wurde. Es beschwört ein Inferno herauf, in der Sadismus nichts mit verdrängten sexuellen Fantasien zu tun hat, sondern eine Manifestation des absolut Bösen darstellt. Sänger Tom Araya kreischt und spuckt nihilistische Verse über Seuchen, Hinrichtungen und Konzentrationslager aus, Schlagzeuger Dave Lombardo knüppelt mit der Präzision eines Metronoms und der Wucht einer Panzerfaust drauflos, die Gitarrenläufe von Jeff Hannemann und Kerry King imitieren die Schreie armer Seelen im Fegefeuer. Am Ende verdunkelt sich der Himmel und es regnet Blut. Während andere Metal-Platten jener Tage aus der Distanz kraftlos, aufgeblasen und manchmal unfreiwillig komisch klingen, hat dieses Album nichts von seiner Urgewalt verloren. Ein Musik gewordener Weltenbrand, komprimiert auf 28 atemlose Minuten.

Doch auch wenn es Slayer gelungen ist, ihrem Pandämonium aus Dreck und Feuer mit jedem Album eine paar düstere Nuancen hinzuzufügen: Durch besondere Eloquenz und Reflektiertheit glänzten sie nie. Kritiker fanden die Songtexte „indiskutabel“ (Munzinger-Archiv) und „kryptisch bis offensiv IQ-frei“ (taz), und auch in Interviews gaben sie nur selten Erhellendes von sich. Im Fachblatt Metal Hammer rechtfertigte Araya seinerzeit den Song „Angel of Death“, der die Experimente des KZ-Arztes Josef Mengele beschreibt: „Wir verzichten auf jede Wertung, legen uns weder auf Pro noch auf Contra fest, sondern beschreiben nur Dinge, die damals tatsächlich passiert sind, als Hitler beinahe ganz Europa beherrschte.“ Ein Satz, der einem gerade in diesem Tagen merkwürdig bekannt vorkommt. Später sorgte der gebürtige Chilene mit seinen entschuldigenden Äußerungen zur historischen Rolle des Diktators Pinochet selbst innerhalb der in Bezug auf eigenwillige politische Auffassungen eher nachsichtigen Metal-Gemeinde für Unmut und Empörung, und auch der deutschstämmige Hannemann irritierte hin und wieder mit seiner Begeisterung für Nazi-Devotionalien und Wehrmachts-Anekdoten.

Besonders sympathisch ist das nicht. Nur leider kann man sich, wie Dietmar Dath mal in einem Essay über norwegische Death-Metal-Bands bemerkt hat, die Arschlöcher, die einem Beachtenswertes zufunken, nicht immer aussuchen. Zwar haben Slayer in den letzten 15 Jahren nicht viel mehr hervorgebracht als ein paar eindrucksvolle Variationen und Verfeinerungen ihres charakteristischen Sounds. Und doch scheint ihre Musik mit einem Mal so aktuell zu sein wie nie zuvor. Slayer spielen den Soundtrack zur Apokalypse. Niemand macht das so überzeugend wie sie.

Zusammen mit Slipknot, heute, 20 Uhr, Arena, Eichenstraße 4, Treptow