Begleitausstellung? Nein danke!

Nach Monaten der Debatte sind im „Hamburger Bahnhof“ die Werke der Sammlung Friedrich Christian Flick zu sehen. Haben Museumsbesucher die Diskussion noch im Kopf? Eine Umfrage

VON PHILIPP GESSLER

Die Männer stehen in einer Reihe hintereinander, nackt, ihre Schwänze hängen herab. Plötzlich marschieren sie, und was vorher noch herabhing, ragt nun steil nach oben – ein buntes Wandobjekt aus Neon des US-Amerikaners Bruce Nauman.

Davor zwei Freunde aus München und aus der Nähe von Bremen, die sich die „Friedrich Christian Flick Collection“ hier im „Hamburger Bahnhof“ anschauen. Beide um die 60, einer von ihnen ein CDU-Mitglied. Und ganz schnell ist man beim Krieg: Zur „Wehrmachtsausstellung“ über die Verbrechen der Wehrmacht im Osten habe man doch auch keine Begleitausstellung gemacht, sagt einer. Eine Schau, worüber genau? Über gute Taten der Wehrmacht, schlägt der Gefragte vor, etwa die Evakuierung von Vertriebenen über die Ostsee durch die deutsche Marine in den letzten Kriegstagen. Ein Museumsbesuch in Deutschland.

Nach Monaten der Diskussion ist sie nun also eröffnet, die Ausstellung von „Mick“ Flick: 2.000 Werke europäischer und nordamerikanischer Künstler. Flick konnte die Kunstwerke kaufen, weil er Geld erbte, das sein Großvater durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern verdiente. Was denken die Besucher der Schau über diese Diskussion? Denken sie noch daran? Belastet es sie? Was halten sie von der nicht verwirklichten Idee, die Familiengeschichte der Flicks in einer Begleitausstellung am „Hamburger Bahnhof“ zu thematisieren?

Bau- und Alltagsmaterialien hat der US-Künstler Jason Rhoades zu einer riesigen Rauminstallation, einem „Schöpfungsmythos“, kombiniert. Daneben stehen die Schülerin eines Sozialkunde-Leistungskurses aus Mainz und eine Betreuerin ihrer Klassenfahrt. Nein, erklären beide, man schaue sich die Ausstellung recht „unbedarft“ an, die Zwangsarbeiter-Debatte sei nicht in ihren Köpfen. Sehr schnell verdrückt sich die Schülerin. Nur die Betreuerin antwortet tapfer, dass ihr eine Begleitausstellung zur Sammlung „jetzt irgendwie zu viel“ wäre.

Eine Galeristin wundert sich neben Bildern von Francis Picabia darüber, dass es so wenig Proteste gegen die Schau gebe. Die 45-jährige Bochumerin fände eine Begleitausstellung „okay“, aber es sei dennoch „schwierig, das zu mischen“. Es hätten eben auch wirtschaftliche Interessen gesiegt: „Das ist das Leben.“ Und außerdem störe es sie, im Ausland immer in den „Nazitopf“ gesteckt zu werden.

Ein 26-jähriger Berliner sagt, er hätte eine Begleitausstellung zur Flick-Sammlung gut gefunden – und er habe sich schon sehr gut überlegt, ob er sich die Schau überhaupt „reinziehen“ wolle. Er habe es aber „gewagt“, weil er einfach die Kunst habe sehen wollen, erklärt er.

Nicht wenige Menschen fliehen, wenn man sie nach der Zwangsarbeiter-Diskussion um Flick befragt. Ein junges Pärchen aus Norfolk in England steht vor einer „Gartenskulptur“ von Dieter und Björn Roth und meint, es wäre doch „eine Schande“, die Kunst nicht zu zeigen. Da müsse man doch nicht rechtfertigen, woher das Geld für die Kunst komme. Bristol etwa hätten auch Sklaven erbaut, sagt die 24-jährige Frau. Es gehe darum, an die Vergangenheit zu erinnern, ohne die „balance“ zu verlieren.

Und wie gefalle ihnen die Ausstellung selber? Das Gute, meint der 30-jährige Mann, überwiege wohl das Schlechte. Viele Ausstellungsstücke aber seien ihnen zu „sexuell orientiert“ – schließlich wolle man sich eine Kunst-, keine Porno-Show anschauen. Die Mehrheit der Besucher der Ausstellung, so scheint es, will mit Debatten über die Ausbeutung von Zwangsarbeitern nicht wirklich belästigt werden.