Stich ins Wespennest

Beim Bund Deutscher Radfahrer rollen die Köpfe: Präsidentin Sylvia Schenk tritt zurück, weil Sportdirektor Burckhard Bremer einen Dopingverdacht verheimlicht hat. Dafür muss auch der gehen

AUS BERLIN FRANK KETTERER

Am Morgen danach befand sich Sylvia Schenk in erstaunlich aufgeräumtem Zustand, beinahe erleichtert wirkte die schmale Frau. „Mir geht es gut“, sagte die 52-Jährige jedenfalls, aber noch wichtiger war der Satz, der diesem folgte: „In mir ist es richtig.“ Sie hatte sich schon seit ein paar Tagen dafür entschieden, unter bestimmten Umständen vom Präsidentinnenamt des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) zurückzutreten, und nun, da diese Umstände am späten Donnerstagabend eingetreten waren, vollstreckte sie ihr Vorhaben – und trat zurück. Diesem drastischen, für Schenk aber offensichtlich auch befreienden Schritt vorangegangen war eine mehrstündige Sitzung des BDR-Präsidiums samt 15 Vertretern der 18 Landesverbände. Es ging um einen erbitterten Streit zwischen der Präsidentin und ihrem Sportdirektor Burckhard Bremer (siehe taz vom 22. September), und es ging in diesem Streit um einen nicht unerheblichen Dopingverdacht gegen den Bahnradfahrer Christian Lademann. Bei dem Olympiastarter waren bereits im Juni bei einer Routineuntersuchung Unregelmäßigkeiten bei den Blutwerten aufgetaucht, vom Sportdirektor unterrichtet wurde Schenk darüber freilich nicht. Die Präsidentin erfuhr nur per Zufall davon – und erst nach den Olympischen Spielen, entsprechend sauer war sie darüber. „Wer im Juni Anlass zu der Vermutung gibt, dass Epo oder verwandte Substanzen eingenommen wurden, kann im August nicht in Athen starten“, machte sie schon Mitte letzter Woche ihren Standpunkt deutlich. Seitdem war klar, dass an oberster BDR-Spitze ein Machtkampf tobte. „Entweder er oder ich“, hatte Schenk persönlich dessen Motto formuliert, genau darüber hatte die Versammlung in Frankfurt zu entscheiden.

Dass an deren Ende Schenks Rücktritt stand, könnte man der Präsidentin nun als Niederlage auslegen. In der Tat war ein Großteil der Landesfürsten der Ansicht, Schenk habe sich mit ihren eindeutigen Anmerkungen zum Fall Lademann viel zu weit aus dem Fenster gelehnt. „Die haben sich hinter ihrer Argumentation verschanzt, dass es kein Dopingfall sei“, sagte Schenk gestern zur taz – und sie entsprechend überzogen habe. Schenk stellt aber auch richtig: „Ich habe nie behauptet, dass es sich um einen Dopingfall handelt. Ich habe nur gesagt, dass es ein Verdachtsfall war, mit dem man anders hätte umgehen müssen.“ Dies wurde der Juristin mittlerweile sogar von der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) bestätigt, auch die wurde von dem Fall nicht unterrichtet, wofür sich der BDR im Nachhinein einen deutlichen Rüffel einfing. „Es kann unter keinem Gesichtspunkt hingenommen werden, dass der Dopingverdacht der Nada nicht zur Kenntnis gebracht worden ist“, heißt es in einem Schreiben der Agentur. Den Landesfürsten war dies sehr wohl bekannt, groß darum geschert haben sie sich freilich nicht. „Das hat die gar nicht interessiert“, sagt Schenk, entsprechend sah sie sich zum Handeln gezwungen. „Ich konnte diese Verharmlosungsschiene nicht mitfahren“, sagte sie gestern.

Als die große Verliererin steigt die Frankfurterin dennoch nicht aus dem Ring. Ganz im Gegenteil: Ihre Ansichten, wie mit dem Thema Doping und schon einem Verdacht auf solches umzugehen sei, mögen Präsidium und Landesverbände im BDR nicht geteilt haben; dass sie deshalb falsch sind, das beweist schon die Rückendeckung der Nada, heißt das noch lange nicht. Und auch die Verbandsfürsten scheinen das zumindest erahnt zu haben, auch wenn sie anderes zu Protokoll gaben. Zwar nahmen sie den Rücktritt der Präsidentin passiv und „mit Bedauern“ hin, gleichsam aber forderten sie aktiv den Rücktritt Bremers. „Wir haben das Präsidium aufgefordert, Bremer von seinem Amt des Sportdirektors zu suspendieren“, sagte der thüringische Verbandspräsident Jürgen Beese zur taz. Bis zur Bundeshauptversammlung des BDR im März nächsten Jahres soll dieser Schritt spätestens vollzogen sein, mit sofortiger Wirkung verliert der Noch-Sportdirektor Sitz und Stimme im BDR-Präsidium. Beese weiter zur taz: „Er war nicht mehr tragbar.“ Schließlich war Bremers berufliches Wirken schon in der Vergangenheit äußerst reich an Skandalen (die taz berichtete), die Sache mit dem vertuschten Dopingverdacht sei da nur der letzte Tropfen im Fass gewesen.

Und lohnt doch besonderer Begutachtung, weil am Ende die Erkenntnis steht, dass sowohl Bremer als auch Mannschaftsarzt Olaf Schumacher von der sportmedizinischen Abteilung der Uni-Klinik Freiburg sich durchaus im Klaren waren, was da vor der Präsidentin verheimlicht werden sollte – und welche Tragweite das haben könnte. So schreibt der Sportdirektor in einer Stellungnahme an das BDR-Präsidium zum Fall Lademann, die der taz vorliegt: „Nach Aussagen des Arztes könnte man bei den Werten darauf schließen, dass möglicherweise Epo oder artverwandte Substanzen zur Anwendung kamen. Seine Vermutungen/Rückschlüsse [die Schumachers; Anmerk. der Red.] beruhen auf Vergleichswerten, die er von dem Sportler bei vorangegangenen Untersuchungen vorliegen hat. Genauere Aussagen sind lt. Arzt nicht möglich.“ Doch anstatt den somit bekanntermaßen heiklen Fall bei Präsidentin wie Nada zu melden, kam der Sportdirektor, in Absprache mit Mediziner Schumacher (laut Bremer „im Bereich Doping ein sehr erfahrener Arzt“) zu dem Entschluss, Lademanns Blutwerte genauestens im Auge zu behalten, um „ein mögliches Restrisiko möglichst auszuschließen“. Was immer Bremer mit „Restrisiko“ gemeint haben mag, spätestens bei der Blutuntersuchung am 11. August, zwei Tage vor Beginn der Olympischen Spiele, schien mit Lademanns Werten wieder alles in Ordnung – und er konnte mitreisen nach Athen. Dass er dort in der Einer- wie der Viererverfolgung hinterherradelte, kann Zufall oder Formschwäche gewesen sein, aber eben auch anderes. Sylvia Schenk möchte sich dazu en detail nicht mehr äußern. Sie sagt nur: „Ich habe das Gefühl, dass ich in ein Wespennest gestochen habe.“