Schattenboxen statt Wahlkampf

In Afghanistan erlaubt die Angst vor Attentaten den Präsidentschaftskandidaten kaum eine politische Auseinandersetzung. Doch über den künftigen Präsidenten wird ohnehin eher hinter den Kulissen als am 9. Oktober an den Wahlurnen entschieden

VON BERNARD IMHASLY

Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat seine erste große Wahlrede gehalten – aber nicht in seiner Heimat, sondern zu Wochenbeginn in New York vor der UN-Generalversammlung. Mitten im Wahlkampf für die Wahlen am 9. Oktober begab sich Karsai, ohne dass konkrete Anliegen dies rechtfertigten, in die USA. Auf dem Rückweg wird er Saudi-Arabien besuchen.

Die Auslandsreise ist verständlich. Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich so verschlechtert, dass sich Karsai kaum mehr außerhalb seines schwer bewachten Palastes zeigen kann. Als er am 16. September in der als relativ sicher geltenden Stadt Gardes eine Schule eröffnen wollte, schlug in der Nähe seines Landeplatzes eine Rakete ein. Noch bevor Karsais Helikopter aufsetzen konnte, machte er kehrt und flog den Präsidenten nach Kabul zurück. Am Montag wurde einer der vier Vizepräsidenten im Norden Ziel eines ebenso erfolglosen Bombenanschlags.

Die Taliban versuchen ihre Drohung wahr zu machen, mit Attentaten die Präsidentschaftswahl am 9. Oktober zu verhindern. Nach Ansicht von Beobachtern in Kabul wird ihnen dies kaum gelingen. Aber sie könnten die Legitimität der Wahl unterhöhlen, wenn die Angst viele Offizielle von ihren Pflichten als Wahlbeamte abhält und noch mehr Wähler zwingt, zu Hause zu bleiben. Nach dem Auftakt am 29. August – dem Attentat vor dem Hauptquartier von Karsais US-Leibgarde – wurden in den letzten zehn Tagen im Südosten des Landes zwei Wahlhelfer und drei afghanische Soldaten getötet. In den pakistanischen Flüchtlingslagern tauchten Flugblätter des Taliban-Verbündeten Gulbuddin Hekmatyar auf, der die noch rund 600.000 Afghanen in den Lagern vor einer Stimmabgabe warnt.

Karsais Reise nach New York ist nicht nur aus Sicherheitsgründen verständlich. Er kann es sich leisten, auf einen klassischen Wahlkampf zu verzichten. Nicht nur sind die 17 anderen Anwärter in Bezug auf ihre persönliche Sicherheit weit exponierter als er. Während Karsai landesweit bekannt ist und seine Rolle als Landesvater mit Medienauftritten noch festigt, sind seine Gegner meist nur Lokalgrößen oder aus dem Exil angereist. Sie erreichen allenfalls in Kabul und in internationalen Medien noch Aufmerksamkeit. Keiner wagte sich bisher auf eine eigentliche Wahltournee. Und selbst Auftritte in Kabul waren nicht viel mehr als das Verlesen der Manifeste hinter den sichern Mauern des Informationsministeriums.

Die meisten Kandidaten haben deshalb eine Verschiebung des Urnengangs um mehrere Wochen gefordert, sodass sie für ihre Veranstaltungen ein Minimum an Sicherheitsvorbereitungen treffen können. Weder der Präsident noch die Wahlkommission sind darauf eingegangen, so wenig wie auf die anfangs August eingebrachte Klage, dass Karsai das Wahlgesetz verletzt habe, weil er sein Amt für die Wiederwahl missbrauche.

Auch die USA haben kein Interesse an einer erneuten Verschiebung. Gilt es doch als ausgemacht, dass Präsident Bush für seine eigene Wiederwahl den Trumpf einer erfolgreichen Demokratisierung Afghanistans ausspielen will. Zalmay Khalilzad, der afghanischstämmige US-Botschafter in Kabul, gilt als engster Berater Karsais und will einen überzeugenden Sieg seines Schützlings schon im ersten Wahlgang sicher stellen.

Die Absetzung von Ismail Khan, dem Gouverneur der westlichen Provinz Herat, wird als Beispiel für das Wirken des eingespielten Duos Karsai/Khalilzad zitiert. Khan galt in Kabul als potenzieller Störfaktor für Karsais Wiederwahl. Ein weiteres Beispiel reger Hintergrundarbeit wird im Fall von Yunus Kanuni gesehen. Der Erziehungsminister in Karsais Kabinett hatte vor zwei Monaten überraschend seine Präsidentschaftskandidatur angekündigt. Kanuni verfügt als einziger der Karsai-Gegner über eine gewisse nationale Bekanntheit. Er kann auch mit den Stimmen der zweitgrößten Ethnie, der Tadschiken, rechnen. Selbst unter den Paschtunen, die ihrem Stammesgenossen Karzai feindlich gesinnt sind, genießt er Achtung. Wenn man schließlich die Unterstützung seiner eigenen Nordallianz dazuzählt, die im administrativen Apparat der Hauptstadt über Schlüsselpositionen verfügt, wird Kanuni damit zum einzigen ernsthaften Herausforderer Karsais, dem die meisten Proteststimmen zufließen könnten.

In Kabul kursieren dieser Tage Gerüchte, nach denen das Lager des Präsidenten versucht, Kanuni zum Rückzug seiner Kandidatur zu bewegen. Es werde argumentiert, dass es wichtig sei, in diesem kritischen Stadium der Staatsbildung die beiden dominanten Ethnien in der Regierung vertreten zu sehen. Sonst könnte die Oppositionsrolle Kanunis den tribalen Graben noch vertiefen. Karsai hat bisher einen Deal von sich gewiesen. Doch Kanuni erklärte am letzten Montag, Gespräche hätten stattgefunden, sie seien jedoch unbefriedigend verlaufen. Dies heißt im Klartext, dass Kanuni einer Annäherung nicht abgeneigt ist, dafür aber mit einem bedeutenden Kabinettsposten belohnt werden will. Auch seine Mitstreiter sollen zum Schluss gekommen sein, dass ein Arrangement mit Karsai ihren Interessen mehr nützt als eine weitgehend machtlose Oppositionsrolle.