Wer sind die nützlichen Idioten?

Anti-Hartz-IV-Demonstrationen sind nicht nur sozialer Protest, sondern auch Berufsfindungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Wer dabei wen vor welchen Karren spannt, ist undurchsichtig. Statt offener Kommunikation wird Abgrenzung praktiziert

von HELMUT HÖGE

Der sozial engagierte Intellektuelle als „Beweger“ ist uralt, ebenso die Klage der „Bewegten“: „Uff meener Pisse Kahn fahrn, det könn’se!“ Gemeint waren damit meist Gewerkschaftsfunktionäre, die von den Beiträgen ihrer Mitglieder leben und gerne eine „Doppelstrategie“ verfolgen. So auch jetzt bei den Montagsdemos gegen Hartz IV (mittlerweile auch „HIV“ abgekürzt): Einerseits unterstützen sie diese, stellen sich sogar an die Spitze. Zugleich drohen sie damit, sie zu verlassen, sollte es „auch nur den Anschein für die Teilnahme von Neonazis geben“, wobei primär das Bild der Berichterstattung in den Mastermedien des Westens gemeint ist. Diese Gefahr nehmen sich aber auch die Aktivisten von Attac zu Herzen, indem sie sich „gegen rechts abgrenzen“ und im Übrigen „an die Gewerkschaften ran wollen“. In ihren Montagsdemo-„Bündnissen“ entwickeln diese Kader primär „Organisationstalent“ und optimieren ihre „soziale Kompetenz“, um quasi als Praktikanten Bewegungserfahrung und Medienkontakte für ihren weiteren Lebenslauf zu sammeln.

In den Marschkolonnen der Montagsdemos wird darüber immer wieder diskutiert, wobei zu bedenken gegeben wird, dass man diese Macher und Rädelsführer brauche, die mit ihrem Engagement die Sache voranbringen: Es sind also nützliche Idioten „für das Ziel Hartz IV muss weg!“ Aus der Sicht der Kader und Ini-Aktivisten kann sich jedoch auch die wachsende Zahl der Demoteilnehmer als bloße Ansammlung nützlicher Idioten erweisen. Dagegen hilft nur eine über die Demoteilnahme hinausgehende Selbstorganisation der Betroffenen: Indem sie gemeinsam Flugblätter, Zeitungen, Plakate, Redebeiträge entwerfen und zugleich die nach Promis und Presse gierenden Großveranstaltungen dezentralisieren. Beides geschieht derzeit.

Während es den Gewerkschaften bei den Protesten höchstens um „Nachbesserungen“, der MLPD um eine immer breitere „Massenmobilisierung“ und Attac gar um eine „Europäisierung“ geht, geraten ihnen die Probleme der Betroffenen mehr und mehr aus dem Blickfeld: Sie schielen nach oben und zur Kaderkonkurrenz statt nach unten, wo sich die Lage immer mehr zuspitzt und diversifiziert.

Völlig verkannt wird auch, dass viele junge Arbeitslose rechts sind – und die Abgrenzung der linken Demo-Kader gegen Neonazis quasi die Basis der Bewegung ausschließt. Ähnliches gilt für die arbeitslosen türkischen Jugendlichen, von denen viele nur noch für den islamischen Terror schwärmen. Keiner der Yuppie-Kader macht auch nur Anstalten, sich zu fragen, wie man an sie rankommt. Das war einmal anders: Als eine Neonazi-Demo sich einmal gegen das SDS-Zentrum am Ku’damm wandte, mischten sich SDSler unter die Teilnehmer und diskutierten mit ihnen. Damals wurde dieses Verhalten von SPD und Gewerkschaften noch begrüßt. Heute spricht sogar der Redner im Anarcho-Lautsprecherwagen von „Nazidreck“ – und argumentiert damit ebenso menschenfeindlich wie die Rechten, wenn sie von „Ausländerdreck“ reden. Was schmerzhaft fehlt, ist eine Klassenanalyse! Besonders deutlich wird das bei den Attac-Aktivisten, die viel lieber Nichtraucher, Vegetarier, Mountainbiker und ähnliche Mittelschichtkids „bewegen“ als heruntergekommene alte Arbeitslose mit schlechten Zähnen, die wohlmöglich noch einen nationalen Hau haben. Aber wahrscheinlich wird diese Haltung sich wenig später schon bei ihrem nächsten NGO-Bewerbungsschreiben positiv auswirken.