Schlange stehen für die BVG

betr.: „SPD streitet über BVG-Maut“, taz vom 10. 10. 03

Wo ökologisch denkende und an betriebswirtschaftlichen Realitäten des ÖPNV orientierte Verkehrsexperten längst verzweifelt haben, kommen nun endlich manchen Politikern wenigstens Zweifel am geplanten elektronischen Abrechnungssystem bei der BVG.

Das System sei „gerechter“, argumentieren seine Verfechter, und der Verstand windet sich beim Versuch, derartigen Widersinn im Namen der Gerechtigkeit aufs reale Leben zu übertragen, also etwa so: Ein BVG-Fahrgast in der Linie 7 fühlt sich von seiner Sitznachbarin übervorteilt, weil sie von Neukölln nach Siemensstadt muss, er aber nur vom Hermannplatz zum Kleistpark, beide aber gleichermaßen 2,20 Euro im Automaten lassen müssen. Sollte es diesen Fahrgast wider Erwarten wirklich geben, möge er sich doch bei mir melden und mir erklären, warum er für die Behebung dieses „Übels“ in aller Zukunft auch noch beim Verlassen des U-Bahnhofs (oder auch nur beim Umsteigen in den Bus!) jedes Mal Schlange stehen möchte.

Viel häufiger stellen sich BVG-Fahrgäste wohl die Frage, um welchen Betrag sie die BVG schädigen, wenn sie mal einige Stationen ohne Fahrschein fahren. Also, was es für einen Unterschied macht, wenn eine U-Bahn mit einem Fahrgast mehr oder weniger rollt?

Eine Grenzkostenbetrachtung wird so etwas unter Experten genannt, nur dass in diesem Falle das Ergebnis quasi unter verkehrspolitische Staatsgeheimnisse fällt, bestätigte es doch auf beeindruckende Weise sowohl das diffuse, mangelnde Unrechtsbewusstsein derjenigen, die mal wieder den Kampf mit dem Automaten aufgegeben haben und ohne Ticket auf den Zug gesprungen sind, als auch diejenigen, am Zeitgeist verzweifelten ÖPNV-Experten, die für erschwingliche Dauerkarten plädieren, weil sie um die überragende Bedeutung einer einzigen betriebswirtschaftlichen Variablen wissen: die Auslastung, 16 Prozent im Falle der BVG. „Gerechtigkeit“ ist halt das eine, Betriebswirtschaft das andere. MICHAEL KLOCKMANN, Sozialforum Berlin