Zweifel an der Wunderheilerin

Auf der Regionalkonferenz im Neuköllner Estrel bekommt CDU-Chefin Angela Merkel die Bedenken der Basis zu spüren. Der wird es angesichts der Herzog-Pläne schummerig. Haudrauf Jörg Schönbohm spielte den sensiblen Moderator

Wenn Jörg Schönbohm zur Mäßigung aufruft, muss etwas Besonderes passiert sein. Der frühere Berliner Innensenator hat normalerweise nichts dagegen, wenn die Fetzen fliegen. Ehemalige Hausbesetzer werden sich erinnern – und hätten sich gewundert, wären sie bei der Berliner CDU-Regionalkonferenz dabei gewesen. Ausgerechnet Haudrauf Schönbohm spielte dort den sensiblen Moderator.

Bei dem Treffen zwischen Parteiführung und Basis ging es um die Sozialreformen. Ein Thema, das die Union zu spalten droht. Auch in der Berliner CDU ist längst noch nicht entschieden, ob sich Angela Merkel mit ihrem Herzog-Konzept durchsetzt. Wunderheilerin oder Hexe? Da scheiden sich die Geister.

Der Streit um Kopfpauschalen und Rentenalter lockte am Mittwochabend über 1.300 Mitglieder aus Berlin und Brandenburg in das Neuköllner Estrel-Convention-Center. Aus dem einstigen Kanzlerwahlverein CDU ist ein munterer Debattierverein geworden. So munter, dass die FAZ bereits angewidert von einer „Verwilderung der Sitten in der Union“ schreibt. Gegner und Befürworter des radikalen Herzog-Plans beschimpften sich in Berlin so wortgewaltig – und vor allem: so ungeniert auf offener Bühne vor den Kameras –, dass sich Versammlungsleiter Schönbohm zum Eingreifen genötigt sah.

Er sei zwar auch nicht immer einer Meinung mit dem früheren Arbeitsminister Blüm gewesen, stellte der heutige Brandenburger CDU-Chef fest, aber: „Norbert Blüm ist und bleibt ein wichtiges Mitglied der Union.“ Das bitte er alle zu bedenken.

Ein besonders forscher Herzog-Fan hatte vorher ausgerufen: „Die Zeiten der Sozialdemokratisierung der CDU sind beendet!“ Parteichefin Angela Merkel bescheinigte der Mann, sie habe „das Zeug zur deutschen Maggie Thatcher“. Noch wichtiger sei ihm aber, dass „die Blüms, Geißlers und Süssmuths“ nichts mehr in der CDU zu sagen hätten. „Darauf haben wir jahrelang gewartet.“

Andere CDU-Mitglieder widersprachen heftig. Je mehr sie von Kopfpauschalen hören, desto schummeriger wird es ihnen. Die CDU sei drauf und dran, „eine neoliberale Partei zu werden“, warnte ein Berliner. Ein Vertreter der Senioren-Union hielt ein Foto seiner Enkeltochter hoch und sagte ernst: „Ich mache mir große Sorgen um ihre Alterssicherung.“ Das Herzog-Konzept überzeugt ihn nicht. „Das wird eine Katastrophe geben.“

Diesen Bedenkenträgern half auch die Ansage Merkels wenig, für Geringverdiener sei ein steuerlicher Sozialausgleich geplant. „Das klingt gut“, sagte eine Brandenburgerin, „aber woher soll das Geld denn kommen?“ Schönbohm weiß es auch nicht – und hält sich erst mal zurück. Pro oder contra Herzog? „Wir müssen noch diskutieren.“ Schließlich will er erst einmal seine Kommunalwahl in Brandenburg gewinnen. LUKAS WALLRAFF