„Die Frage der Privatisierung ist offen“

SPD-Verkehrsexperte Reinhard Weis findet den Börsengang der Bahn richtig: Das Unternehmen brauche Reformen und frisches Geld. Doch „ob, wie und wann“ die Bahn privatisiert wird, diese Frage wollen die Parlamentarier erst später klären

INTERVIEW BERNHARD PÖTTER

taz: Herr Weis, Sie waren der einzige Verkehrsexperte der Fraktionen im Bundestag, der nicht von Bahnchef Mehdorn attackiert wurde. Was machen Sie falsch?

Reinhard Weis: Ich arbeite eher auf Ausgleich hin. Es gibt da aber auch größere inhaltliche und persönliche Differenzen zwischen den Kollegen und Herrn Mehdorn als bei mir.

Kann Mehdorn noch Bahnchef bleiben, wenn er so mit den Abgeordneten umgeht, die ja seine Arbeitgeber repräsentieren?

Nein. Es gibt nur noch eine sehr begrenzte Chance für ihn, wenn es ihm gelingt, mit einem sehr tiefen Kotau, mit einer sehr ernsten Entschuldigung sein persönliches Verhältnis mit den drei Kollegen zu bereinigen, die er persönlich angegriffen hat. Es geht aber auch um sein Verständnis für das Parlament insgesamt. Er muss am Mittwoch bei der Sitzung des Verkehrsausschusses deutlich machen, dass er die ganz besondere Rolle des Parlaments akzeptiert. Ohne uns gibt es keine Gesetzgebung auf dem Weg, den er möchte.

Wird er nach Mittwoch noch Bahnchef sein?

Sein Projekt, der schnelle Gang an die Börse, ist gescheitert. Die Tatsache, dass man im Kanzleramt die Zukunft schon ohne ihn debattiert, stempelt ihn zu einem Bahnchef auf Zeit.

Der Börsengang ist verschoben. Welchen Sinn hat er?

Erstens zwingt er dazu, die Sanierung der Bahn zu Ende zu führen. Mit der Börsenreife wäre die Bahn fit am Markt. Ihr Gewinn soll so groß werden, dass sie unabhängig wird vom Staat. Außerdem braucht die Bahn dringend Geld, um sich auf dem europäischen Markt zu behaupten.

Es ist eine Illusion zu glauben, ein riesiges Infrastrukturunternehmen wie die Bahn könne profitabel arbeiten.

Der Weg ist mit allen Vorbehalten richtig. Die Bahn hat die Produktivität gesteigert.

Können ein flächendeckendes Schienennetz und der Betrieb darauf sich rechnen?

Diese spezielle Frage ist offen. Wir Parlamentarier wollen das in einem zusätzlichen Gutachten noch bewertet haben. Wir wollen den Börsengang nicht nur unter Kapitalgesichtspunkten, sondern auch unter verkehrlichen und finanziellen Aspekten betrachten. Das Netz ist als Daseinsvorsorge wichtig, der Staat ist da in der Pflicht. Wir müssen abschätzen können, ob es für den Bundeshaushalt preiswerter ist, die Bahn als Ganzes an die Börse zu schicken, oder ob das Netz besser in einer anderen Konstellation verbleibt. Innerhalb oder außerhalb der Bahn.

Das wäre die Trennung von Netz und Betrieb, gegen die Mehdorn so kämpft.

Die Trennung könnte dabei herauskommen. Aber wenn wir das wollten, wäre es trotzdem für den Bund sehr teuer. Das Netz gehört der DB AG. Dann müssen wir als Bund der Bahn das Netz wieder abkaufen.

Ohne eine Trennung gibt es keine Konkurrenz.

Doch, Wettbewerb lässt sich auch so organisieren, wie es im Moment ist. Wir installieren gerade die Trassenagentur als Kontrollbehörde, die Mitbewerbern einen freien Zugang garantiert.

Hat es schon mal eine erfolgreiche Privatisierung einer so großen Bahn gegeben?

Nein, nicht in Europa. Die DB AG ist mir ihren engmaschigen Netz über 35.000 Kilometer ein Sonderfall. Das ist nirgendwo sonst so. Nur in Japan ist die Bahn als integrierter Konzern erfolgreich privatisiert worden. Deshalb müssen wir sorgfältig sein und uns vor Schnellschüssen hüten.

Also könnten Sie auch sagen, die ganze Privatisierung ist der falsche Weg – die Bahn muss beim Staat bleiben.

Wir wollen diese Option offen halten. In der Struktur der Bahn AG ist die Börsenfähigkeit angelegt. Aber das muss korrigierbar sein. Wie, ob und wann, diese Fragestellungen halten wir uns offen. Wir können nur etwas mit der Bahn AG machen, wenn es dafür einen gesellschaftlichen Konsens gibt.