Keck grinsende Vogelscheuche

Nahe Hamburg sind plastinierte Leichen nach Art des Gunther von Hagens aufgetaucht

Nachts leuchtet der Tote von innen rot und lenkt den Blick der Autofahrer auf den Gasthof

Seit Jahren sorgt der Leichenplastinator Gunther von Hagens mit seinem Totenzirkus für Aufsehen. So zur Zeit in Hamburg, wo sein Machwerk „Körperwelten“ noch bis Jahresende gastiert. Zahlreich strömen die Besucher, zahlreich prasseln aber auch die Anfeindungen auf den Leichendompteur nieder. Nicht der volksmedizinischen Aufklärung diene seine Sammlung, wie von Hagens versichert, sondern der auf Sensationsgeilheit, Tabubruch und Voyeurismus fußenden Geldschneiderei, meinen seine Gegner. Von Hagens tut unterdessen einiges, um seinen Gegnern Munition zu liefern. So rückte er unlängst mit ein paar Plastinaten zum makabren Fotoshooting ins nächtliche Hamburg aus. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen „Störung der Totenruhe“.

Derweil sind jüngst im elbabwärts gelegenen Alten Land einige plastinierte Leichen aufgetaucht, die, obwohl dort dauerhaft öffentlich ausgestellt, seltsamerweise bisher keinerlei staatsanwaltliche Aktivitäten ausgelöst haben. Das skurrilste Plastinat kann man auf einem schmalen Grünstreifen an der Kreisstraße 103, unweit Speckelsen bewundern. Aus beiden Fahrtrichtungen gut zu erkennen, sieht man da am Straßenrand einen enthäuteten menschlichen Corpus stehen, der den Autofahrern glasigen Blicks und dennoch irgendwie keck grinsend eine Hinweistafel entgegenreckt, auf der in Schreibschrift zu lesen ist: „Lecker tote Tiere“. Darunter weist ein knöcherner Fingerzeig zum gegenüberliegenden „Landgasthof Schnier“. Besonders nachts, weil dann rot und wie von innen leuchtend illuminiert, lenkt dieses Plastinat die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf das für seine klodeckelgroßen Fleischplatten weithin bekannte Restaurant.

Nicht illuminiert ist die plastinierte Leiche eines, wie man an dem enormen Gebaumel zwischen den rosafaserig bemuskelten Schenkeln erahnen kann, einst prächtig ausgestatteten Mannsbildes, das jetzt dem Osterfehner Landwirt Hubert Winkels, 71, als eine Art Luxus-Vogelscheuche dient. Auf einem Acker nahe der Bundesstraße 73, in Höhe des Abzweigs nach Rumelskirchen, bewacht der plastinierte Kerl mit ausgebreiteten Armen und einem alten Hut auf dem skalpierten Dez die hier angebaute Zwischenfrucht.

Keine fünf Kilometer weiter ist in der Samtgemeinde Süverkrup seit Anfang der Woche ein weiteres Plastinat zu besichtigen: im Schaufenster der Süverkruper „Trikotagenboutique Lammers“ steht hier ein adrett plastinierter Kamerad als dekorativer Blickfang. Angetan mit einer soft gemusterten Schiesser-Unterhose posiert er da als Wäscheständer. Annegret Alversduck, 33, Inhaberin der Boutique, kann die enorme Reklamewirksamkeit ihrer Leiche sogar beziffern: „Seit wir die in der Außendeko haben, konnten wir allein bei den Herren-Trikotagen um 200 Prozent zulegen.“

Geliefert bekommen hat Frau Alversduck ihre plastinierte Schaufensterleiche von jenem Mann, der uns eben mit seinem Leichenwagen der Marke „Opel Kapitän“ vor der Süverkruper Boutique aufgelesen und in seine Werkstatt nach Suderlehnen gefahren hat: Justus Güntermann. Nach einigen Besuchen in Gunther von Hagens’ „Körperwelten“ hat sich der 43-jährige Tierpräparator vor einigen Wochen erstmals an einer menschlichen Leiche versucht: dem Vater des Gastwirts Schnier. Güntermann, mit dem Auftrag konfrontiert, Schniers verstorbenen Herrn Papa nach von Hagens’ Vorbild zu präparieren, hatte damit, wie er sagt, kein ethisches Problem: „Ob ich nun einen Tierkadaver aufbreche oder einen menschlichen Leichnam. Tot sind für mich alle Lebewesen gleich.“

Nach dem alten Herrn Schnier, der im Übrigen vorher ausdrücklich darum gebeten hatte, nach seinem Ableben als Hinweisleiche an die Straße gestellt statt bloß als gewöhnlicher Wurmfraß in die Grube gelegt zu werden, plastinierte Güntermann im Auftrag des Bauern Winkels dessen kurz zuvor tödlich verunfallten Sohn zur Vorgelscheuche um. Bei der Leiche, die im Schaufenster der Boutique Lammers für Schiesser-Wäsche wirbt, handelt es sich, wie Güntermann angibt, um „legale Importware aus osteuropäischen Beständen“; exaktere Auskünfte über deren Bezug verweigert er allerdings.

Auch über die Herkunft jener männlichen Leiche, die Güntermann derzeit im Auftrag der Süverkruper Evangelischen Stifts-Gemeinde zur Kreuzfigur zurechtpräpariert, will der Plastinator des Alten Lands nichts Genaues verraten. Bereits übernächsten Sonntag soll der von ihm plastinierte Leidensmann im Rahmen einer feierlichen Kreuzigung unter der liturgischen Leitung von Pfarrer Bernhard Wichtermann an das Holzkreuz am Süverkruper Friedhofsportal genagelt werden. Proteste sind bisher nicht laut geworden. FRITZ TIETZ