Hartz hilft nicht

Die Arbeitslosen brauchen keine Arbeitsanreize – sie brauchen Arbeitsplätze. Darum werden die Reformvorhaben der rot-grünen Bundesregierung wirkungslos bleiben

Der BDI-Präsident tut so, als ob die Freiheit, nicht die Solidarität in Bedrängnis sei

Der Abbau der Arbeitslosigkeit war und ist das wichtigste Ziel der rot-grünen Bundesregierung. Doch warum streut man sich jetzt Sand oder Hartz in die Augen und vermittelt damit den Eindruck, diesem Ziel schon näher gekommen zu sein?

Vielleicht hilft ein Rückblick auf den Ausgangspunkt eines fatalen Denkfehlers. Nach der Regierungsübernahme 1998 versprachen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder leichtfertig, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken – Lafontaine auf unter drei Millionen, Schröder, etwas vorsichtiger, auf 3,5 Millionen. Beide Zahlen basierten weniger auf eigenständiger Reformpolitik, sondern mehr auf der Erwartung einer dauerhaften Konjunkturentwicklung und dem wundersamen Glauben, allein durch Wachstum die Beschäftigungsprobleme lösen zu können. Leider kam es anders.

Im Wahlkampf 2002 war der Bundeskanzler deswegen in die Klemme geraten. Nur ein Wunder oder Zauberer konnte helfen. Mit dem Personalchef von VW, Peter Hartz, schien beides in einer Person gefunden zu sein. Er war durch originelle betriebswirtschaftliche Lösungen (etwa die Viertagewoche bei VW oder 5.000 Arbeitslose werden für 5.000 Mark eingestellt) aufgefallen und sollte nun eine Regierung und ein ganzes Land retten. Hinzu kam, dass ein Angestellter der Bundesanstalt für Arbeit den seit Jahren gehegten Verdacht erhärtete, dass die meisten seiner Kollegen mehr mit Verwaltung statt mit Vermittlung beschäftigt sind. Fortan war die Arbeitslosigkeit vor allem ein Vermittlungsproblem.

Und wie so oft in Zeiten des Outsourcing wurde eine Kommission einberufen. Deren Vorsitzender, eben Peter Hartz, verkündete dann allen Ernstes, mit einem Mix aus schneller Vermittlung, verstärkter Leiharbeit und Selbstständigkeit in wenigen Jahren die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Seitdem lautet die Erfolgsformel: Wenn die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von 33 Wochen nur um vier Wochen verkürzt wird, vermindert sich der Bestand an Arbeitlosen auf etwa 3,5 Millionen. Ignoriert wurde die Tatsache, dass die „Vakanzzeit“ der offenen Stellen in Westdeutschland bei 27 Tagen und in Ostdeutschland bei 14 Tagen liegt – und damit kaum zu unterbieten ist. Sicher kennt jeder jemanden, der sich länger Zeit lässt, eine neue Stelle anzunehmen. Doch ist das nicht das Hauptproblem, das durch Druck und Kürzung von Bezügen gelöst werden könnte.

Den Arbeitslosen fehlt es nicht an Arbeitsanreizen, sondern an Arbeitsangeboten. Daran werden die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wenig ändern.

Gemessen an dem Credo „Sozial ist, was Arbeit schafft“ sind die vorgesehenen Gesetzesänderungen schlicht unsozial. Sie schaffen keine Arbeit, außer der in der neuen Dienstleistungsagentur. Doch selbst 12.000 neue Stellen werden die Nachfrage von fünf bis sechs Millionen Arbeitslosen nicht befriedigen. Darum lautet eine besonders pfiffige Argumentation: Wir schaffen jetzt die Voraussetzungen, um das mit der Konjunktur anwachsende Arbeitsvolumen schneller und effizienter zu verteilen. Aber wozu dieser große Aufwand? Alle Erfahrungen besagen, dass in Boomzeiten die Arbeitssuchenden nicht über Amt oder Center zu Jobs kommen, sondern meist durch eigene Initiative. Paradoxerweise werden in diesem Moment die Personal Service Agenturen eher arbeitslos.

Aufschlussreicher ist die Aussage, dass mit den Hartz-Gesetzen die uferlosen Sozialausgaben reduziert werden sollen. Meist mit dem Hinweis, dass „wir“ seit langem über unsere Verhältnisse leben. Ohne genauer zu sagen, wer „wir“ sind. Die wachsende Zahl von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern kann damit nicht gemeint sein. Ökonomisch sind diese Einschnitte kontraproduktiv, weil sie die ohnehin schlechte Binnenkonjunktur durch Kaufkraftentzug schwächen. Noch vor kurzem hätte der Rückfall in die alte Rollenverteilung, die arbeitslose Frauen von ihrem Partner abhängig macht, einen Aufschrei ausgelöst.

Völlig einseitig wird das Prinzip „fördern und fordern“ allein auf Arbeitnehmer angewendet. Am Pranger steht „Florida-Rolf“ und nicht die steuerflüchtigen Showstars oder die wegen höherer Gewinne ins Ausland abziehenden Firmen. Wo wird die Bereitschaft der Arbeitgeber eingefordert, ihrem Namen tatsächlich gerecht zu werden. Sie bleiben von Forderungen gänzlich befreit: Nicht mal eine Ausbildungsplatzumlage wird erhoben, um das jährliche Trauerspiel fehlender Ausbildungsplätze ein für alle Mal zu beenden. Im Haus der Wirtschaft erfreut der BDI-Präsident seine Mitglieder lieber mit der Performance frei fliegender Adler, nach dem Motto: „Freiheit wagen – Fesseln sprengen“. Als wäre die Freiheit und nicht die Solidarität in Bedrängnis. Doch er meint nicht die Freiheit, sondern die freie Marktwirtschaft. Hartz ist angeblich nur der Anfang. Also weg mit Tarifen, Betriebsverfassungen, Mitbestimmungsrechten, Bürokratie – sprich staatlichen Regelungen. Weil die freie Entwicklung der Ich-AG die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist – oder wie war das? Wie groß ist der Erfolg auf dem falschen Weg einen richtigen Schritt erreicht zu haben?

Offene Stellen sind im Westen 27 Tage, imOsten 14 Tage vakant. Das ist kaumzu unterbieten

Zum Beispiel die Klarstellung, dass die nie geplante Unterhaltspflicht von Familienangehörigen nicht kommen wird. Oder Dumpinglöhne durch „ortsübliche Löhne“ vermieden werden. Wird es künftig eine Art „Mietspiegel“ geben, aus dem der zumutbare Lohn ersichtlich ist? Was heißt überhaupt Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten? Seit langem läuft eine Entwertung von Humankapital, indem viele Arbeitslose niedrig entlohnte Jobs annehmen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind, Qualifizierung verschwiegen wird, weil das die Chancen auf schlecht bezahlte Arbeit erhöht. Warum hört das Schonvermögen bei 24.000 Euro auf – und beginnt erst wieder im rehscheuen Millionenbereich? Das wird die Kreativität vieler kleiner und mittlerer Verdiener wecken, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.

Wie erklärt sich der Widerspruch, Eigenvorsorge fürs Alter zu verlangen, aber dies weit davor aufbrauchen zu müssen? Oder die Tatsache, dass wir entgegen der Versprechungen vom Subventionsabbau aus der Kombination von Minijob und Arbeitslosengeld II eine neue „Kohlesubvention“ über Tage zur Freude der Privatwirtschaft schaffen. Obwohl mit den arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängern noch mehr Anspruchsberechtigte für die bisher schon überforderte aktive Arbeitsmarktpolitik hinzukommen, soll künftig bei verringerten Ausgaben für Weiterbildung jede und jeder ein entsprechendes Angebot erhalten.

Irgendwie erinnert mich das an die Wohnungspolitik in der Mangelgesellschaft. Trotz Altbauverfall und schleppendem Neubau wurde ein viel versprechendes Programm beschlossen, wonach jeder eine Wohnung bekommen sollte. Man ging aufs Wohnungsamt, wurde registriert, beraten, getröstet oder seinen Frust los – nur Wohnungen gab es keine. WERNER SCHULZ