Der Kampf der Alpha-Tiere

CDU-Chefin Merkel und CSU-Boss Stoiber lehnen die rot-grüne Arbeitsmarktreform ab – um sich anschließend über die eigenen Pläne zu fetzen

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Es hätte der große Tag der Angela Merkel werden können. Wenn der Kanzler heute im Bundestag keine eigene Mehrheit für seine Hartz-Gesetze kriegen würde, müsste er zurückzutreten. Alle Blicke wären dann auf die Chefin der CDU gerichtet. Merkel, die Oppositionsführerin im Bundestag, stünde als Nachfolgerin bereit. Oder, falls es keine Neuwahlen gäbe, als Vizekanzlerin in einer großen Koalition unter Wolfgang Clement. Hätte, wäre, wenn. Schröders Mehrheit steht – und Merkel hat längst andere Sorgen.

Merkels Gegner heißt zur Zeit nicht Schröder. Dass der Kanzler jetzt stürzt, glaubt nach den realsozialistischen 100 Prozent für Hartz in der SPD-Fraktion am Dienstag niemand. Merkels wahrer Gegner sitzt in München, ist CSU-Chef und heißt Stoiber.

Zum ersten Mal seit dem berühmten Frühstück in Wolfratshausen liefern sich die Chefs der beiden Schwesterparteien wieder ein Duell. Im Gegensatz zu damals geht es aber nicht um Posten, sondern um Programme. Langfristige Programme. Es geht um die Zukunft des Sozialstaats.

Das sozialpolitische Konzept, um das Merkel und Stoiber so leidenschaftlich streiten, sind nicht die aktuellen Hartz-Reformen. Da sind sie sich einig: Was die Regierung heute beschließt, ist viel zu wenig, viel zu lasch. Arbeitslose sollen jeden Job annehmen müssen, findet die Union, „der nicht gesundheitsschädlich ist“. So hübsch hat es Merkels Fraktionsgeschäftsführer Volker Kauder formuliert. Im Bundesrat, so die Ansage, muss nachgebessert werden. Kein Zweifel, dass CDU und CSU heute geschlossen mit Nein stimmen. Im Vermittlungsausschuss will man dann ein Ergebnis, das die SPD-Linken erneut erschauern lässt, wenn die Hartz-Gesetze zurück in den Bundestag kommen. „Wir werden Mittel und Wege finden, die Kanzlermehrheit zu testen“, kündigte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos bereits an.

Worüber Glos dagegen nicht gern redet, ist der Name Herzog. Das Konzept des Altbundespräsidenten zum radikalen Umbau der Sozialsysteme droht die Union zu spalten. Merkel ist dafür, Stoiber dagegen. Und im Vergleich zu den Herzog-Plänen mit Kopfpauschalen und Wegfall des Solidarprinzips sind all die Hartz-Reförmchen Petitessen. Umso sturer beharren Merkel und Stoiber auf ihren Positionen.

Beispiel Mittwochabend: Während Merkel auf der dritten CDU-Regionalkonferenz in Berlin weiter unverblümt für das Herzog-Modell eintrat, ging Stoiber im WDR auf Sendung – und erneut auf Distanz zu Merkel. Der CSU-Chef erinnerte an den Gesundheitskompromiss mit der Regierung, den sein Vize Horst Seehofer ausgehandelt hatte. „Politik wird unglaubwürdig“, schimpfte er in Richtung Merkel, „wenn sie die Auswirkungen einer gerade erst beschlossenen Reform nicht abwartet.“ Merkel zur selben Zeit in Berlin: „Wir wollen die Weichen für einen langen Zeitraum stellen – für die nächsten 20 bis 30 Jahre.“ Was Stoiber von diesen Weichen hält, hatte er schon klar gemacht: „Unsozial!“ Wäre sie ehrlich, müsste die Union einen Vermittlungsausschuss in eigener Sache bilden.

So etwas Ähnliches wurde am Mittwochnachmittag versucht. Merkel wollte den Abgeordneten der gemeinsamen Fraktion ihr Konzept erklären. Doch der Streit begann bereits bei der Wahl des Ortes. Im Bundestagsfraktionssaal könne so etwas nicht stattfinden, beschied die CSU. Schließlich handele es sich um ein Konzept der CDU. Also lud Merkel in ihre Parteizentrale ein. Das Interesse hielt sich jedoch in Grenzen. Gerade mal 70 der 248 Abgeordneten kamen. Der wichtigste CSU-Mann in Berlin, Glos, fehlte. Der zweitwichtigste, Seehofer, war da und wurde hinterher gefragt, ob man bei der Suche nach einer gemeinsamen Haltung wenigstens einen Schritt weiter sei. „Glaub ich nicht“, raunzte Seehofer in die Mikrofone. „Das war ein erster Meinungsaustausch. Ende, amen, tschüs.“

Ganz so klar, wie es die Protagonisten dieses Streits erscheinen lassen, sind die Fronten aber nicht. In der CSU melden sich die ersten, vornehmlich Jungen, die gegen Stoibers Nein zu Herzog protestieren. In der CDU muss Merkel gleichzeitig erleben, dass nicht nur den alten Herren Blüm und Geißler ihr schnelles Ja zu weit geht. Die Partei ist hin- und hergerissen. Sie finde Frau Merkel ja eigentlich ganz toll und mutig, sagte eine Berliner CDU-Parteifreundin am Mittwoch. Aber: „Mit Verlaub, ich komme mir ein bisschen verarscht vor, wenn ich nur die eine Seite der Medaille zu hören bekomme.“ Wie der steuerliche Sozialausgleich für das Kopfpauschalensystem finanziert werden soll, sei ihr komplett unklar. Auch der Bundestagsabgeordnete Karl-Josef Laumann monierte, im Herzog-Konzept stehe „kein Wort, wo das Geld herkommt“. Und wer solle überhaupt Sozialausgleich bekommen? Nur Geringstverdiener? „Ich verstehe diese Fragen gut“, reagierte Merkel freundlich. „Wir arbeiten daran.“ Viel Zeit hat sie nicht mehr. Schon auf dem CDU-Parteitag am 1. Dezember will sie das Herzog-Konzept absegnen lassen. Das wäre dann wirklich Merkels großer Tag.