Die Kehrseite der Medaille

Am 7. September 1913 werden die ersten 22 Sportabzeichen in Deutschland vergeben – an Männer. Erst 1921 dürfen auch Frauen die ehrenreiche Plakette erwerben.

Von Anfang an war das Sportabzeichen militärisch: Die Urkunden der ersten Absolventen datierte man auf den 1. September um – und erinnerte so an den Sieg der Deutschen über die Franzosen bei der Schlacht von Sedan am 1. September 1870.

Der Sportfunktionär Carl Diem hatte die Idee einer sportlichen Auszeichnung für jedermann aus den USA und Schweden importiert. Doch sein propagandistisches und militaristisches Wirken zur Nazizeit und seine Reden an die Soldaten an der Front brachten ihm später viel Kritk ein.

Wolfgang Bausch und Achim Laude haben Diem in ihrem Buch Der SportFührer – Die Legende um Carl Diem (Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2000, 240 Seiten, 17,40 Euro) als „Außenminister des NS-Sports“ bezeichnet. Fünf Monate nach Erscheinen des Werks nannte der Deutsche Leichtathletik Verband (DLV) das „Carl-Diem-Schild“ für ehrenamtliches Engagement in „DLV-Ehrenschild“ um. Der Deutsche Sportbund (DSB) hält jedoch nach wie vor an seiner sportwissenschaftlichen Auszeichnung, der „Carl-Diem-Plakette“, fest.

Dass die Vorbildfunktion des Sportübervaters Diem, nach dem Straßen, Sportplätze und die Kölner Sporthochschule benannt sind, immer stärker bröckelt, bewies die Stadt Hanau im Mai 2002: Sie benannte die „Sportanlage am Carl-Diem-Weg“ in „Rudi-Völler-Sportanlage“ um.

Jedes Jahr legen knapp neunhunderttausend Menschen das Sportabzeichen ab und lassen sich „überdurchschnittliche Fitness“ bescheinigen. Einen Anteil von etwa fünfzig Prozent an der Gesamtzahl hat das Schülersportabzeichen, in der jüngeren Erwachsenengeneration kommt die Auszeichnung wenig an.

In der neunzigjährigen Geschichte des ehemaligen Reichssportabzeichens, das heute eher neutral als Fitnessmedaille bezeichnet wird, wurde bis Ende 2002 über 24 Millionen Mal verliehen. Wer das Abzeichen das erste Mal ablegt, erhält eine Urkunde sowie Aufnäher und Nadel in Bronze, bei Wiederholungen können sich die Athleten bis zur goldenen Auszeichnung vorarbeiten.

Die Anforderungen des Fünfkampfs (Werfen, Springen, Sprint, Langstrecke, Schwimmen) richten sich nach Alter und Geschlecht, bestimmte Disziplinen können durch andere ersetzt werden. Heute sind sogar Walking und Inline-Skating Alternativübungen für den Medaillenerwerb. Seit 1961 können auch behinderte Menschen das Sportabzeichen erhalten. (www.sportabzeichen.de) JH