Kultusminister in Endzeitstimmung

Niedersachsens Wulff will aus der Kultusministerkonferenz aussteigen. Die Aktion des jungen, wilden Landesfürsten macht Kultusministern Angst – und setzt die heilige Kuh Kulturhoheit auf die Agenda: Wer kann Schulen besser – Bund oder Länder?

VON CHRISTIAN FÜLLER

Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) angekündigt, die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) zu verlassen, jaulte die vereinte Kultusgemeinde auf – Wulffs Parteifreunde am lautesten. Die Idee sei „fahrlässig“, schimpfte Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU). Der Länderkoordinator der Unions-Wissenschaftsminister, Peter Frankenberg aus Baden-Württemberg, nannte die KMK „unentbehrlich“.

Am nächsten an einer realistischen Einschätzung Wulff’scher Regierungskunst schien Dieter Althaus (CDU) zu sein. Thüringens Ministerpräsident fragte stirnrunzelnd, was der niedersächsische Landesvater Wulff mit seinem Vorschlag eigentlich bewirken wolle. Mit anderen Worten: Der Kollege hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.

In der Tat lässt sich aus Wulffs Gedankensprüngen zur KMK unschwer herauslesen, dass der Ministerpräsident die Sachlage allenfalls schrittweise erfasste. Zunächst versprach Wulff der Osnabrücker Zeitung, „in den nächsten Wochen den Staatsvertrag über die KMK [zu] kündigen“ – einen Staatsvertrag, den es gar nicht gibt. Dann beharrte er darauf, die bürokratische und teure Konferenz effektiver machen zu wollen. Zuletzt bemängelte er Eifer im Kampf gegen die Bundesregierung.

Er wünsche sich eine „schlagfertige KMK“, sagte Wulff. Die Kultusminister wehrten sich nicht genügend gegen die vielen Eingriffe des Bundes in die Kulturhoheit der Länder. Die KMK werde „nicht mehr ernst genommen“.

So einfach ist das alles nicht. Wahrscheinlich ruft der früher gern als junger CDU-Wilder apostrophierte Ministerpräsident eine Lawine von Forschungsprojekten hervor. Der Status der KMK – als „Konferenz deutscher Erziehungsminister“ (inklusive Sowjetzonenvertreter) älter als Bundesrepublik Deutschland und Grundgesetz – ist der einer „freiwillig tätigen Arbeitsgemeinschaft“. Idee war es Anfang 1948, das Auseinanderfallen der Kulturnation Deutschland nach dem Krieg in Zonen zu verhindern – und zugleich dem Nazi-Zentralismus abzuschwören.

Freilich ist das eine so gut wie nicht zu lösende Aufgabe. Schon früh mussten sich die Kultusminister die Kritik anhören, sie förderten die Zersplitterung der deutschen Schule. Einschlägige Handbücher schreiben knapp vom „strukturellen Problem im Bildungswesen“. Wie soll man die Kulturhoheit der Länder wahren und zugleich die reibungslose Austauschbarkeit der Schulabschlüsse und Uni-Diplome organisieren?

Daher warnten die Parteifreunde der föderalen Union den vorpreschenden CDU-Landesvater auch, er provoziere geradezu ein Bundeszentralorgan – sprich: Wer die KMK abschafft, vergrößert automatisch den Spielraum des Bundes. Und der steht Gewehr bei Fuß, wie die großen Initiativen des Bundes zu Juniorprofessoren, Ganztagsschulen, Elite-Unis und Kindertagesstätten zeigen.

Selbst Wulffs auf den ersten Blick unproblematische Forderung, das Konsensprinzip der KMK zugunsten von Mehrheitsentscheidungen aufzugeben, ist schlecht machbar. Denn dann müssten ja die unterlegenen Länder die Schulbeschlüsse der Mehrheit ausführen – und verlören so ihre sakrosankte Kulturhoheit. Christian Wulff scheint das alles im Verlaufe des Wochenendes gemerkt zu haben. „Natürlich wird es die Kultusministerkonferenz weiter geben müssen“, gestand er der ARD.

Dennoch hat Wulffs Idee die Kreativität in der Bildungsdebatte belebt. Der Studentendachverband fzs forderte prompt, „künftig die Studierenden in die KMK einzubeziehen“.

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