„Mit diesem Namen wirst du nie Kanzler“

Sigrid Skarpelis-Sperk ist Bundestagsabgeordnete der SPD. Und trotzdem für soziale Gerechtigkeit. Sie hat „große Zweifel“ an den gerade verabschiedeten Sozialreformen der Regierung. In der Partei schimpft man schon länger über sie. Nennt sie „SS-30“ und „Triple S“. Und überhaupt: Sigrid Skarpelis-Sperk – was ist denn das für ein Name? Ein alphabetisches taz-Gespräch über Politik und Sex-Appeal

Interview JENS KÖNIG
und SUSANNE LANG

taz: A wie Allgäu. Ihr Wahlkreis. 64, 9 Prozent CSU. Wird man da als Genossin zwangsläufig zur Rebellin?

Sigrid Skarpelis-Sperk: Die Allgäuer hatten schon immer den Hang zur Rebellion. Wer da nicht glatt gebügelt worden ist, der ist aufsässig.

Brille. Kassengestell?

Nein. Rodenstock. Ein Kassengestell könnte ich bei meinen Augen gar nicht tragen. Ich habe links minus 13 Dioptrien, dazu noch einen Augenfehler. Ich brauche schon spezielle Brillengläser, die die Kasse nicht bezahlt. Die einfachen Brillengläser wären viel zu dick. Da bräuchte ich eine Taucherbrille.

Charisma. Beneiden Sie den Kanzler darum?

Ja. Oft. Aber jeder sollte die Rolle spielen, die er spielen kann. Ich bin nun mal die Fachfrau. Man kann in der Politik auch ohne Charisma überleben.

Deutschland. Weltmeister im Frauenfußball. Vorigen Sonntag vorm Fernseher mitgefiebert?

Nein. Ich war an diesem Tag auf einer SPD-Veranstaltung in Bayern. Thema: „Grundwert soziale Gerechtigkeit – ist die deutsche Sozialdemokratie überlebensfähig?“ Es reicht, wenn in der Familie einer fußballbegeistert ist. Bei uns ist das mein Mann.

Elefantenhaut. Haben Sie sich in den letzten Tagen eine zugelegt?

Ich habe schon lange eine Elefantenhaut. Die braucht man in der Politik auch. In den letzten Wochen habe ich mir allerdings manchmal gewünscht, ich hätte Panzernashornplatten.

Fernsehen. Schön, vor fünfzig Kameras zu stehen?

Nervig. Ich habe das bisher nicht so häufig gemacht. Ich bin immer noch eher nervös.

Griechenland. Ihre große Liebe?

Ja. Ich bin mit einem Griechen verheiratet. Wir haben uns 1968 auf einem Asta-Treffen kennengelernt. Mit dem Land verbindet mich ohnehin viel. Ich habe mich damals im Kampf gegen die griechische Militärdiktatur engagiert. Ich habe viele Freunde dort.

Hartz. Die größte Reform der letzten 50 Jahre?

Ich habe große Zweifel. Ich finde es richtig, dass wir von den Menschen, wenn sie arbeitslos sind, eigene Anstrengungen verlangen. Aber wir schicken sie auf ein Hochseil und schneiden gleichzeitig in das Sicherheitsnetz große Löcher. Damit haben nicht nur die ein Problem, die unter Höhenangst leiden. Außerdem ist es ungerecht, wenn gleichzeitig Politiker und Manager einen Fallschirm haben. Wirtschaft und Arbeitsmarkt werden so zu einem angstbesetzten Gebiet. Und unter Angst arbeiten Menschen nun mal nicht besonders gut.

Ironie. Harald-Schmidt-Fan?

Ja. Ich finde Ironie gut – wenn sie mich nicht selbst trifft. Ich kann ab und zu auch über mich selber lachen, aber eigentlich bin ich ein durch und durch ernster Mensch. Ich bin brav katholisch erzogen worden, nach der Devise „Suche die Sünde zuerst bei dir selbst“.

Jasager. Sind Abgeordnete Opportunisten?

Nicht mehr als andere Menschen auch.

Kanzler. Gerhard Schröder – der beste, den Deutschland je hatte?

Bisher habe ich nur einen verehrt: Willy Brandt. Das war ein Mann, der mehr Demokratie wagte, die Ostpolitik bewirkt und zu seinen Grundsätzen gestanden hat.

Lafontaine. Comeback des Jahres?

Möglicherweise. Die SPD könnte ihn im Saarland gut gebrauchen. Oskar Lafontaine ist ein charismatischer Mann – der sich allerdings häufig selbst im Wege steht.

Müntefering. Haben Sie Angst vor Ihrem Chef?

Nein. 1981 bin ich als junge Abgeordnete zum ersten Mal in der SPD-Fraktion aufgestanden und habe die Regierungspolitik von Helmut Schmidt kritisiert. Ich hatte wirklich Angst. Herbert Wehner merkte sofort, was ich vorhatte, und unterbrach mich schon nach meinem ersten Satz. „Als Nächster spricht der Abgeordnete Ottmar Schreiner“, rief er laut dazwischen. „Herr Fraktionsvorsitzender“, sagte ich, „ich war noch nicht fertig.“ Daraufhin setzte lautes Gegrummel ein in der Fraktion. Wehner hatte man nicht zu widersprechen. Aber er ließ mich weiterreden. Als ich die Fraktionssitzung verließ, hatte ich das Gefühl, um mich herum ist flüssiger Stickstoff. Alle meine Kollegen hielten fünf Meter Abstand von mir. Wer Herbert Wehner hinter sich hat, der fürchtet sich vor keinem Fraktionsvorsitzenden mehr.

Naddel. Kann man von ihr etwas lernen?

Ich wüsste nicht was. Für den Typ Frau, der sich mit ihrem Busen und Allerwertesten vermarktet, habe ich herzlich wenig übrig.

Ohnmacht. Bequemer als Macht?

Verantwortung ist immer schwieriger als Ohnmacht. Das Gefühl, nichts bewirken zu können, ist deprimierend. Ich würde es immer vorziehen, eine Gestaltungsmöglichkeit zu haben, und sei sie klein.

Promotion. 1977, Thema Ihrer Arbeit: „Soziale Rationierung öffentlicher Leistungen. Zur Wirkungsweise öffentlicher Dienst- und Sachleistungen.“ Geiles Thema.

Es ging um die Frage, wem der Staat wirklich nützt. Ausgangspunkt war die Idee der Jusos, dass kostenlose Dienstleistungen des Staates sinnvoll seien. Ich habe die Arbeit mit „Summa“ abgeschlossen. Aber nach sechs Jahren Assistententätigkeit im Status einer Halbleibeigenen hatte ich von der Uni und den Arbeitsbedingungen dort einfach genug.

Quote. Die SPD – ein Haufen alter Männer. Fühlen Sie sich da wohl als Frau?

Wir haben gar nicht wenige Frauen in den Parlamenten, wenn auch nicht so viele wie die Grünen. Ich selbst habe 1976 in Südbayern die erste Frauenquote in der SPD mit durchgesetzt. 25 Prozent.

Ruhm. Wie lange hält er an?

Ich bin nicht berühmt. Ich stehe in der Öffentlichkeit, und das auch nur für ein paar Wochen. Ruhm wiegt viel schwerer.

SS-30. Ihr Spitzname. Beleidigt deswegen?

Nein. Dazu ist er viel zu überzogen. Anfang der 80er-Jahre war ich gegen die Stationierung der amerikanischen Pershings, die als Antwort auf die russischen SS-20-Raketen gedacht waren. Außerdem war ich in der Wirtschaftspolitik und in der ökologischen Frage anderer Meinung als Helmut Schmidt. „Schlimmer als die SS-20“, haben sie im Haushaltsausschuss zu mir gesagt. Also nannten sie mich dort fortan „SS- 30“.

Triple S. Noch so ein Spitzname von Ihnen. Kann man Revolution machen, wenn man Sigrid Skarpelis-Sperk heißt?

Revolution kann man immer machen. Die Frage ist nur, ob man Erfolg hat. Was meinen Namen betrifft, hatte ich auf einem meiner ersten SPD-Parteitage ein Schlüsselerlebnis. Der Tagungsvorsitzende rief mich nach vorn und stolperte über meinen Namen. Als ich von der Bühne runter war, kam Hans-Jürgen Wischnewski zu mir, haute mir seine breite Pratze auf die Schulter und sagte: „Mädchen, mit diesem Namen wirst du niemals Kanzler.“

Ungerechtigkeit. Großes Thema der SPD?

Wir müssen aufpassen. Wenn etwas die Seele dieser Partei ausmacht, dann ist es soziale Gerechtigkeit.

Verkehrswacht Ostallgäu e.V., Kaufbeuren. Einer von ungefähr dreihundert Vereinen, in denen Sie Mitglied sind. Sonst nichts zu tun?

Sie wissen doch, wie das auf dem Land so ist. Ein netter Mensch kommt an, in diesem Fall mein guter Freund Dieter Müller, Volksschullehrer in Pfronten und Mitglied der Verkehrswacht, und bittet um Unterstützung in Form eines Ehrenpatronats und einer Spende. Also stimmen Sie zu, und schon sind Sie drin.

Widder. Ihr Sternzeichen. Das „Brigitte“-Horoskop sagt für diese Woche: „So richtig wissen Sie noch nicht, wohin mit Ihren ganzen Ideen. Sind sie umsetzbar oder nur Spinnerei? Die richtige Erfolgsformel: Wenn Ihre Pläne nicht dem allgemeinen Trend entsprechen, haben Sie genau das richtige für sich entdeckt.“ Und nun?

Der letzte Satz scheint mir doch eine Ermutigung zu sein, wobei ich von Horoskopen nicht viel halte. Aber das Sternzeichen Widder charakterisiert mich ganz gut: Ich bin hartnäckig. Kein braves Reittier. Eine Persönlichkeit, die auch mal zurückstößt.

X und Y lassen wir weg. Man muss auch Abstriche machen können. Bleibt Z wie Zweifel . Hat das alles noch Sinn, was Sie machen?

Wenn ich zweifeln würde, hätte ich nicht die Kraft, das zu tun, was ich tue.