ausgehen und rumstehen : Morphisch schlafen, fleißig nähen: Auf dem Weg zur PUB – einer Partisanen-Uni Berlin
Die Bühnendekoration „Neustadt von Neumann“ in der Volksbühne kennt man inzwischen: ein kleines Stadtzentrum aus Holzplatten mit Buden, Treppen und Büros. Jürgen Kuttner machte daraus am Wochenende ein Partisanenlager: „24 Stunden Überleben im Theater“, er selbst bot dazu eine „Überlebensberatung“ an, „aber nur, wenn sie gewünscht wird“. Ich hätte ihn nach der optimalen Bewaffnung – unter den besonderen Bedingungen Berlins – fragen können, mir war jedoch erst einmal an einer Überlegensberatung gelegen: ob es sich bei dieser Inszenierung um eine Entwendung oder eine Weiterentwicklung des Stadtguerilla-Begriffs handelte …
Die Volksbühne reitet ja nun schon seit über zehn Jahren auf ihrem multimedialen Erfolgsmodell herum, das längst über alle Berge kopiert wird. Deswegen gilt es nun, sich neue Zuschauerschichten zu erschließen. Mit dem 24-stündigen Event wurden vor allem Teenager gekeilt, und die Mitwirkenden, Punkbands z. B. über Kuttners Radio-Fritzsendung gewonnen.
Weitere Aktivisten offerierten „kostenlose Partisanenhaarschnitte“, an die jedoch niemand so recht ranwollte, ferner „Seminare für Trickbetrug“, die gut besucht waren, ein „Partisanen-Filmfest“, deren Beiträge erst mal geschossen werden mussten, eine „Partisanenhochzeit“ am nächsten Tag, die aber anscheinend ins Wasser fiel, ein „Morphisches Schlaflabor“ – gemäß der These des Partisanenführers Fjodorow: „Der Partisanenschlaf ist tief und fest und überall möglich“, sowie das „Modehaus Deutsche & Partisana“. Wer gedacht hatte, dass es hierbei um die leidige Frage ginge, ob Deutsche überhaupt Partisanen sein können, wo sie doch bisher immer nur als deren Vernichter in Erscheinung traten, sah sich angenehm enttäuscht: An fünf großen Zuschneidetischen, die von Mädchen geradezu umlagert waren, entstanden hier laut Ankündigung praktische „Partisanenklamotten“ und „PartisanTunes“, wobei die Entwürfe immer kühner ausfielen und bald auch in der Mitte der Partisan Neustadt auf dem Bühnenboden ausgebreitet wurden.
Wiewohl vom Fleiß und dem Enthusiasmus der vielen Mädchen durchaus angetan, war ich bei näherem Hinsehen jedoch gelangweilt: Die meisten hatten sich für kleine halbseidene Munitionstäschchen zum Umhängen, wie man sie etwa in die Oper mitnehmen kann, entschieden. Man sah etliche Mädchen damit später in der U-Bahn sitzen. Schon vor 40 Jahren hatten die Mädchen uns Jungs solche Täschchen – mehr oder weniger lieblos – im Handarbeitskurs genäht, es war zwar Ausschuss, aber sie gerieten ihnen trotzdem nachkriegsmäßig geradezu unverwüstlich. Hier handelte es sich jedoch durchgehend um Mädchen, die statt Handarbeit Psychologie, Medien oder Ethik lernten und deswegen in der „Partisan Neustadt“ gewissermaßen ihr erstes Täschchen-Coming-out probten – noch fast zwecklos.
Die Jungs gingen derweil beim Flugblattverfassen wie üblich verbal aufs Ganze: „Tötet Gerhard Schröder“ hieß eine Aktion, die sich als Kunst camouflierte, um die Strafe dafür à la Schlingensief nicht ganz so hart ausfallen zu lassen; eine andere hatte die Überschrift „Komm Poppen!“ – und gemahnte eher an die Praxis von Rotarmisten als an die von Partisanen, bei denen eine rigide Sexualmoral herrscht.
Beide Botschaften waren natürlich an die emsig Munitionstäschchen schneidernden Mädchen adressiert. Auch das war schon vor 40 Jahren so gewesen: dass die Jungs z. B. ständig von Überfällen und Trickbetrügereien redeten, aber sich nie trauten, während die Mädchen scheinbar nur an neuen Klamotten interessiert waren, aber in Wirklichkeit nach Schulschluss die gewieftesten Diebe und Elterntäuscher abgaben. HELMUT HÖGE