„Entscheidend ist, wer erzählt“

Deutschland braucht ein Migrationsmuseum, meint die Ausstellungsmacherin Mathilde Jamin. Auf einer heute beginnenden Tagung argumentiert sie: Nur wenn die Einwanderer selbst ihre Geschichte schildern dürfen, können sie hier heimisch werden

Interview NINA MAGOLEY

taz: Warum braucht es ein Migrationsmuseum? Vielen Museen fehlen Besucher, da könnte man sie doch gut mit dem Thema Migration beauftragen.

Mathilde Jamin: Nein. Das würde wenig daran ändern, dass die bestehenden Museen sich fast ausschließlich auf die kollektiven Erinnerungen der deutschen Mehrheitsbevölkerung beziehen und die ganz anderen Erfahrungen der Migranten in den Museen praktisch nicht vorkommen. Es kommt nicht nur darauf an, Migrationsgeschichte als Thema aufzugreifen. Entscheidend ist die Frage, aus wessen Perspektive diese Geschichte erzählt wird: Aus derjenigen der Mehrheitsgesellschaft oder eines kulturellen Gedächtnisses der Migranten?

Sie arbeiten in Nordrhein-Westfalen für ein großes Museum. Warum plädieren Sie trotzdem dafür, das Budget Migranten direkt zu übertragen?

Um den Prozess der Migration verstehen zu können, muss man sich in beiden Kulturen auskennen – der des Herkunftslandes und der des Einwanderungslandes. Das kann durch Kooperationen geschehen oder durch Menschen, die in ihrer eigenen Person die Kenntnis beider Kulturen vereinigen, zum Beispiel Wissenschaftler, die selbst aus Migrantenfamilien stammen.

Aber Sie selbst haben 1998 in Essen eine große Ausstellung über die Geschichte der Arbeitsmigration aus der Türkei gemacht.

Das Ruhrlandmuseum hat die Ausstellung „Fremde Heimat“ eben nicht allein gemacht, sondern in gleichberechtigter Kooperation mit der Migrantenorganisation DOMiT, dem Dokumentationszentrum über die Migration aus der Türkei (siehe Kasten). Sie hat die Leihgaben bei den türkischen Migranten der ersten Generation beschafft und die Interviews mit ihnen geführt. Das Museum allein hätte die Barrieren aus Misstrauen gegen deutsche Institutionen nicht überwinden können – und auch nicht die Barrieren der Unkenntnis auf unserer eigenen Seite.

Bei der Landesregierung NRW und auch auf Bundesebene findet das Projekt immer mehr Fürsprecher. Was bedeutet es politisch, wenn die Geschichte der Einwanderer von den Betroffenen selbst erforscht wird?

Nur so könnte das Museum den auch von den Politikern angestrebten Zweck erfüllen. Ein Migrationsmuseum, das maßgeblich von Migranten gestaltet wird, könnte zum Kristallisationspunkt einer Identität als Einwanderer in Deutschland werden, die vielen Arbeitsmigranten bis heute fehlt. Die meisten von ihnen wollten ja ursprünglich zurückkehren.

Was bedeutet das?

Diejenigen, die hier blieben, betrachten ihre Lebensplanung oft als gescheitert; sie sind vielfach Einwanderer wider Willen in einem Einwanderungsland wider Willen. Die Anerkennung ihrer Erfahrungen und Leistungen als geschichts- und museumswürdig ist nicht nur sachlich geboten, sie ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung auf dem Gebiet kultureller Repräsentanz, sie könnte diesen Menschen auch zu einem anderen Verständnis ihres Hierseins verhelfen, das nicht nur aus Melancholie und Trauer besteht.

Der Verein DOMiT kommt aus der türkischen Szene. Ist da nicht die Gefahr, dass das Migrantenmuseum ein Türkenmuseum wird?

Einer muss ja anfangen. DOMiT sammelt und bewahrt nun mal als einzige vergleichbare Organisation seit Jahren bundesweit Dokumente und Objekte von Migranten, in diesem Falle aus der Türkei. Im Wissenschaftlerteam sind aber inzwischen Angehörige aller Anwerbenationen vertreten, ebenso in dem neu gegründeten Verein für ein Migrationsmuseum.