Die Krise der Kaufhäuser

Fachmärkte und Rabattschlachten treffen die Warenhäuser ins Mark. Kaufhof hat schon viele Filialen abgewickelt – Karstadt steht der Umbau noch bevor

VON MATTHIAS URBACH

Es begann damit, dass die Rolltreppe im zweiten Aufgang nicht mehr repariert, sondern durch feste Treppen ersetzt wurde. Irgendwie wurde es immer schwieriger für Kunden, einen Verkäufer zu finden. Dann verringerte sich die Zahl der Kassen. Die Hi-Fi-Abteilung wurde kleiner, selbst die Fläche für Kinderkleidung schrumpfte. Der Schnäppchenbereich wächst dagegen Jahr um Jahr und nimmt inzwischen ein ganzes Stockwerk ein. Spricht man Verkäufer darauf an, heißt es düster: „Wir wären wohl längst dicht, wenn sich ein Käufer für das Gebäude fände.“

Wir befinden uns bei Hertie in der Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln. Eines der Kaufhäuser, über deren Schicksal der neue Konzernchef von KarstadtQuelle heute aufklären will. Von den 180 Karstadt- und Hertie-Filialen sollen, so drang vorab an die Öffentlichkeit, wohl 77 in eine eigene Gesellschaft ausgegliedert werden. Dreimal mehr als bisher gedacht. Auch von Schließungen ist die Rede: Angeblich soll es fünf Filialen erwischen, und zehn weitere, falls sich kein Käufer finde. Gestern beriet der Aufsichtsrat den Sanierungsplan.

Rund 300 Kaufhäuser mehr oder minder klassischer Art gibt es noch in Deutschland. Zu den 180 Filialen des KarstadtQuelle-Konzerns gesellen sich noch die 116 Kaufhof-Filialen, die seit 1995 zum Metro-Konzern gehören. Kaufhof, der gerade 125-jähriges Jubiläum feiert, hat seine Schrumpfkur bereits hinter sich. Nach der Übernahme durch Metro wurden 42 Filialen mit 12.000 Angestellten geschlossen. Deshalb brach wohl der Umsatz bei Kaufhof mit minus drei Prozent nur halb so stark ein wie bei Karstadt und Hertie. KarstadtQuelle ist zudem vom Inlandsgeschäft abhängig. Kaufhof-Mutter Metro dagegen investiert bereits in 28 Ländern, darunter China, Indien und Marokko – und macht satte Gewinne.

Hierzulande aber schwächelt der Einzelhandel seit Jahren. Das liegt nicht nur an der Konsumflaute. Es liegt auch am rasanten Neubau von Einkaufszentren und Großmärkten auf der grünen Wiese. Obwohl allein 2003 rund 4.500 Händler Bankrott gingen und wohl ähnlich viele still aufgaben, wächst die Verkaufsfläche enorm. Sie nahm in zehn Jahren um mehr als ein Viertel zu – auf rund 110 Millionen Quadratmeter. Die Deutschen haben dreimal so viel Shoppingfläche pro Kopf wie etwa die Briten.

Nach wie vor stimmen Kommunalpolitiker – gelockt von schönen Kalkulationen – immer neuen Einkaufszentren zu. Handelsvertreter schätzen, dass die Fläche um bis zu eine Million Quadratmeter jährlich wächst. Die Berliner Hertie-Filiale an der Karl-Marx-Straße etwa wurde erst vor wenigen Jahren von einem Wal-Mart am einen Ende der Straße, und einem Einkaufscenter am anderen eingerahmt. Das Einkaufscenter hat natürlich auch Probleme.

Die Kaufhäuser mit ihrem Anspruch auf Vollsortiment haben es da – neben kleinen Einzelhändlern – besonders schwer. In Segmenten wie Multimedia, Textilien und Heimwerker locken die Fachgroßmärkte mit aggressiver Werbung. Dazu kommt der Anspruch vieler Kunden, auch wirklich vier Dutzend Typen Fernseher und ein Dutzend Rasenmäher vergleichen zu können. So viele Geräte passen in kein Kaufhaus.

Obwohl etwa Minidiscs und Videocassetten bei Karstadt oft billiger zu haben sind als beim Media-Markt, laufen die Kunden zum Elektrodiscounter, weil sie glauben, er wäre billiger. Bei Klamotten wiederum leiden die Kaufhaus-Filialen unter Imageproblemen.

Kaufhof versuchte dem durch sein „Galeria“-Konzept entgegenzuwirken, bei dem im Kaufhaus diverse imageträchtige Markenstände errichtet wurden – eine Art Einkaufszentrum im Kaufhaus. 86 Filialen hat Kaufhof so umgerüstet. Auch Karstadt hat angefangen, in einigen Filialen Markenshops zu etablieren. Möbel- und viele Heimwerkerabteilungen wurden ausgemustert. Und selbst in gut besuchten Filialen, wie am Berliner Hermannplatz, finden sich nun große Schnäppchenflächen.

Dabei bekam gerade der Fall des Rabattgesetzes vor drei Jahren den Kaufhäusern nicht so gut. Eine Weile hat Karstadt die Besitzer seiner Kundenkarten mit Rabattaktionen förmlich überschwemmt. Inzwischen sind sie vorsichtig geworden. Denn die Kunden reagieren auf solche Aktionen nicht mit Mehrkauf, sondern mit Zurückhaltung: Sie schieben ihren Kauf bis zur entsprechenden Aktion auf, wie die Gesellschaft für Konsumforschung ermittelte.

Besonders traumatisch war die Rabattschlacht vor Weihnachten 2003: Bislang war diese Zeit tabu, sichert sie doch dem Handel einen wichtigen Umsatzschub. „Rabattschlachten sind kollektiver Selbstmord“, hatte der frühere KarstadtQuelle-Chef Wolfgang Urban erklärt. Und dann notgedrungen mitgemacht. Doch von der „Geiz ist geil“-Welle profitieren eher Firmen, die seit jeher für preiswerte Qualität stehen: Etwa Fielmann, Tchibo oder Ikea.

„Es geht ums Überleben“, verkündete KarstadtQuelle-Aufsichtsratschef Thomas Middelhoff und setzte die Gewerkschaften unter Druck. Gesamtbetriebsratschef Wolfgang Pokriefke führt die Krise von Karstadt auch auf „Fehler des Managements“ zurück; Verdi schloss zuletzt unbezahlte Mehrarbeit aus. Heute wird sich zeigen, ob Middelhoff den „Solidarpakt“, den er fordert, auch bekommt.