Nicht so leicht zu haben

Brut, aber gut: Das Wiener Operettentheater gastierte mit dem „Schwarzwaldmädel“ im Humboldtsaal der Urania

An diesem Samstagabend ist in der Urania die leichte Muse gefragt. Das Wiener Operettentheater gastiert mit dem „Schwarzwaldmädel“ im Humboldtsaal. Viele dezent schick gemachte Senioren haben sich eingefunden, graues und silbernes Haar dominiert. Wer unter 70 interessiert sich schon noch für die Operette? Für die heutige Großelterngeneration zählten die Operettenlieder aus dem „Zigeunerbaron“, der „Fledermaus“ und dem „Land des Lächelns“ noch zu ihrem quasi popkulturellen Zitatenschatz. Einige Radioprogramme für ältere Zuhörer spielen die Titel noch im Wunschkonzert, aber in zwanzig Jahren werden die großen Operetten vergessen sein: Der Schlager hat längst den Operettengassenhauer ersetzt, das Musical das Bühnenerlebnis. Das „Schwarzwaldmädel“ gehörte zu den Standards der Operettenliteratur. 1917 in Berlin uraufgeführt, zog die Operette drei Verfilmungen nach sich, die berühmteste von 1950 mit dem Traumpaar des Heimatfilms, Rudolf Prack und Sonja Ziemann, in den Hauptrollen.

Heute heißen im Gebirgszug zwischen Baden-Baden und Freiburg die Pensionen, Salatteller und Wintersportschulen hie und da noch „Schwarzwaldmädel“. Die Region ist aber weniger durch die Heimatoperette oder Hauffs Märchen „Das kalte Herz“, als durch die Fernsehserie „Die Schwarzwaldklinik“ im kulturellen Gedächtnis geblieben.

Der Wiener Textdichter August Neidhard hatte fürs „Schwarzwaldmädel“ eigens Milieustudien vor Ort betrieben, um die Figuren möglichst wirklichkeitsnah zu gestalten. Die Geschichte ist schnell erzählt: Im Schwarzwalddorf St. Christof bereitet sich Domkapellmeister Blasius Römer auf seinen großen Auftritt beim diesjährigen Cäcilienfest vor, als zwei Wandermusikanten erscheinen und bei ihm um Quartier bitten.

In Wahrheit handelt es sich bei den beiden um die Berliner Hans und Richard, die auf der Flucht vor dem Großstadtleben und der liebestollen Verehrerin Fräulein Malwine sind. Schlägereien, Dienstbotenschicksal, Paarkarussell, Bollenhüte, Küsse, eine plötzliche Erbschaft und viele Lieder stukturieren die weitere Handlung. „Die Mädle aus dem schwarzen Wald, die sind nicht leicht zu haben“, heißt der Operettenhit. Weitere Lieder wie: „Die Weibsleut sind eine Brut, aber gut“, und: „Malwine, Malwine, du bist wie eine Biene“, zeugen vom heiteren Grundgestus des Werkes.

So ist das „Schwarzwaldmädel“ eher als Singspiel angelegt, eine Volkskomödie mit temperamentvollen Polkatänzen und volkstümlichen Walzermelodien. Das Berliner Publikum ist angetan, lässt sich von der Heiterkeit anstecken, klatscht nach jedem Duett und jedem Tanz begeistert los. In der Pause wandelt man paarweise durch die Hallen und freut sich an der gediegenen Betonarchitektur der Sechzigerjahre. An den Komponisten Leon Jessel erinnert heute noch ein Platz in Wilmersdorf. Zwischen 1917 und 1923 hatte er Operetten en masse fabriziert, deren launige Titel – etwa „Ein modernes Mädel“, „Ohne Männer kein Vergnügen“, „Das Detektivmädel“ – zu den Umständen seines späteren Lebens und Todes in bedrückendem Kontrast stehen.

Er bekannte sich, wie so viele assimilierte Juden, zu einem deutschnationalen Patriotismus, komponierte den Marsch „Hoch leb das deutsche Vaterland!“ und versuchte, sich Göbbels als Hofkomponist anzudienen. Trotzdem wurde 1933 ein Aufführungsverbot über seine Werke verhängt. Er selbst wurde 1941 verhaftet und im Polizeigefängnis am Alexanderplatz zu Tode gefoltert.

Auch der Librettist August Neidhard erlebte die Renaissance des „Schwarzwaldmädels“ im Farbfilm nicht mehr – er nahm sich 1945 „aus wirtschaftlicher Not“ das Leben.

CHRISTIANE RÖSINGER