Radikal flüchtig

„Viel Vergnügen“: Die Fluxus-Künstlerin Takako Saito hat über 3.000 Würfel aus Papier in der Kunsthalle platziert, um sie der künstlerischen Weiterentwicklung durch das Publikum zu überlassen

Die Würfel sind also gefallen, und zwar gestern Abend. Über 3.000 Stück waren es, alle aus festerem Papier, einige davon winzig klein, andere in der Größe einer mittelüppigen Weihnachtsgeschenk-Verpackung. Sie regneten hinab von der ersten Etage der Kunsthalle hinunter ins Erdgeschoss. Alle auf einmal. Denn gelagert waren die über 3.000 Würfel in einem Tuch, das im Kunsthallen-Lichthof über den Abgrund gespannt war. Gestern Abend nun wurde das Tuch gelockert und gab die Würfel zum Fallen frei. Parallel dazu gab es eine Überraschungs-Performance der Künstler Phoebe Neville und Philipp Corner, die auf Video festgehalten wurde. Über den Inhalt der Performance wurde zuvor Stillschweigen bewahrt.

Soviel zum ersten Teil der Arbeit „Viel Vergnügen!“, die die japanische Fluxus-Künstlerin Takako Saito in der Bremer Kunsthalle zeigt. Dass diese Performance stattfinden würde, war kein Geheimnis, sollte aber nicht vorweg an die große Glocke gehängt werden: Die Künstlerin präsentierte ihr Konzept erst gestern den Medien, sodass die Nachricht in den Zeitungen gezwungenermaßen heißen muss: Schon vorbei. Perdu. Pech gehabt. Oder, wie Kunsthallen-Kustos Andreas Kreul meint: „Man verpasst halt immer mal was im Leben.“

Aber, wohlgemerkt: Es gibt eine Videoaufnahme von der Würfelperformance. Und es gibt den Fluxus-Gedanken, das Flüchtige zur Kunst zu erklären und damit gegen den elitären Kunst-Anspruch auf zeitlose Geltung zu opponieren. Bei Saito, so muss man schließen, ist das Flüchtige dann so radikal flüchtig, dass es auch okay ist, wenn man es gar nicht mitkriegt. Das Video muss reichen: Der Medien-Mix gehört schließlich auch zum Fluxus, genauso wie das ein oder andere Späßchen, das zur Fluxus-Hochzeit in den 1960er Jahren vielleicht noch das Prädikat „Provokation“ verdient hätte.

Und der zweite Teil von Saitos Arbeit ist dann wieder ganz gesittet und dezidiert publikumsfreundlich: Das Performance-Video läuft im Erdgeschoss und außenrum liegen die handgefalteten, weißen Würfel. Ab sofort ist es den BesucherInnen überlassen, was sie mit dem Kunstwerk anstellen: Verlegen, Stapeln, Anschauen – alles ist erlaubt, sogar erwünscht. Die Klänge, die durch die Bewegung der Papierwürfel entstehen, werden von Mikros eingefangen und sind über Lautsprecher zu hören.

Die Mitgestaltung der Aktionsskulptur durch das Publikum ist Kern der Arbeit: Die BesucherInnen sollen durch ihre Eingriffe Teil des Werks werden. „Wir haben eingeplant, dass einige der Würfel kaputtgehen werden“, sagt Kustos Kreul. Die Erfahrung zeige aber, dass „die Leute sehr sensibel damit umgehen, wenn sie so eine große Freiheit bekommen.“ Was dem Kunstwerk diesmal nicht guttun würde. kli

bis 24. Oktober in der Kunsthalle; in der Galerie Beim Steinernen Kreuz läuft paralle eine Ausstellung von Takako Saitos Porträts, Shop und Büchern