Karstadt wird zur Kahlstadt

Die Karstadt-Angestellten fürchten um ihre Stellen. Jeden Sechsten könnte es treffen, schätzt Ver.di. Die Gewerkschaft kündigt an, um jeden Job zu kämpfen. Karstadt-Chef spricht von „Solidarpakt“

VON INES KURSCHAT

Die Beschäftigten in Berlins Karstadt-Kaufhäusern sind alarmiert. Nachdem bekannt geworden war, dass der Handelsriese große Teile seines Traditionsgeschäfts zerschlagen will, gab es gestern Zahlen. Über 1.000 Arbeitsplätze in Berlin sind laut Ver.di gefährdet. „Allein in den Karstadtwarenhäusern mit rund 6.000 Beschäftigten ist jeder sechste Arbeitsplatz bedroht“, sagt Günther Waschkuhn, Ver.di-Landesfachbereichsleiter für den Handel.

Auf der Abschussliste ganz oben stehen laut Ver.di neben Karstadt Moabit in der Turmstraße die Zweigstellen in Schöneberg, Hauptstraße, in Tegel, Berliner Straße, sowie das Hertie-Haus an der Karl-Marx-Straße in Neukölln. Zudem seien 140 Arbeitsplätze in den ebenfalls zum Konzern gehörenden Sinn-Leffers-Häusern in Charlottenburg (Wilmersdorfer Straße) und Neukölln (Karl-Marx-Straße) sowie Stellen im Servicebereich und in den Lagern in Gefahr.

„Alle sind betroffen“, sagt Achim Neumann, Handelsexperte bei Ver.di Berlin, und verweist auf die Ankündigungen von KarstadtQuelle-Chef Christoph Achenbach. Der hatte gestern sein Sanierungskonzept vorgestellt, das die Konzentration aufs Kerngeschäft, den Verkauf der Fachgeschäftsketten sowie die Weiterentwicklung der 89 größten Kaufhäuser beinhaltet. Ver.di kritisiert, dass Achenbach dennoch von einem Überhang von 4.000 Beschäftigten gesprochen hat. „Das heißt, die Stellen sind bedroht“, so Neumann.

Dieses Gefühl manifestiert sich in den Kaufhäusern der Stadt: „Natürlich hat jede von uns ein klammes Gefühl.“ Die Verkäuferin aus der Karstadt-Damenabteilung in Moabit ist gereizt, über den drohenden Arbeitsplatzverlust will sie „lieber nicht“ reden. Man wisse auch nichts Näheres, sagt sie. Wie ihre anderen KollegInnen hat auch sie von den Sanierungsplänen erst aus den Medien erfahren. Und bangt seitdem um ihren Job.

92 von 181, also rund die Hälfte aller Karstadt-Warenhäuser bundesweit, sollen geschlossen oder verkauft werden. Welche genau es hier treffen wird, darüber wahrt die Konzernleitung noch eisernes Stillschweigen. Die Beschäftigten würden heute auf einer bundesweiten Betriebsratsversammlung informiert, heißt es. Dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kommen wird, hat KarstadtQuelle-Chef Achenbach bereits eingeräumt.

Seine Sanierungspläne nennt er übrigens „historischen Solidarpakt“ von Management, Anteilseigner, Banken – und Belegschaft. Die votierte laut Ver.di und Betriebsrat dagegen, wurde aber überstimmt. Entsprechend nennen Gewerkschaft und Gesamtbetriebsrat das Sparprogramm in einer gemeinsamen Erklärung eine „von den Banken erzwungene Kahlschlagpolitik“.

Ver.di-Fachmann Neumann verspricht jetzt: „Wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen.“ Wie begrenzt die Macht der Gewerkschaften ist, wissen aber auch die Beschäftigten. Vielleicht komme ein akzeptabler Sozialplan raus, mutmaßt eine Mitarbeiterin des Neuköllner Hertie und fügt resigniert hinzu. „Wir Mitarbeiter erfahren es sowieso wieder ganz zum Schluss.“

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