Pariser Maximal House

Rund um das Plattenlabel Karat sammelt sich die zweite Generation des French House. Mit Gruppen wie Daft Punk verbindet die Betreiber herzlich wenig. Lieber schauen sie nach Köln oder Berlin

VON HEIKO HOFFMANN

Die Franzosen sind wieder da. Nachdem Ende der Neunziger der so genannte Filter House aus Paris erst die Clubs und dann als French House die internationalen Charts eroberte, kamen in den Folgejahren die musikalisch innovativen Impulse in der elektronischen Musik aus anderen Orten. Doch mit dem Label Karat und Künstlern wie Ark, Krikor, Chloe und Cabanne sind nun wieder Franzosen in aller Munde. Sie lassen die Disco-Samples im Plattenschrank und benutzen Filter höchstens für ihre Zigaretten. Ihre Musik nennen sie, nur halb im Scherz und als Referenz auf den Minimal-House-Sound der letzten Jahre, Maximal House.

Vor fünf Jahren zeichnete sich ab, dass Filter House, der das Musikbild Frankreichs in der zweiten Hälfte der Neunziger entscheidet geprägt hatte, sich in einer Sackgasse befand. Für viele war der Höhepunkt von La French Touch mit Stardusts „Music Sounds Better With You“ erreicht bzw. auch schon wieder überschritten. Doch zeitgleich mit French-House-Nachgeburten wie Cassius stand plötzlich ein Track aus Frankreich an der Spitze der europäischen Charts, der auch heute noch zu den ungewöhnlichsten Produktionen gehört, die je die Hitparaden anführten und so gar nichts mit den discosampelnden Platten französischer House-Stars wie Thomas Bangalter, Philippe Zdar und Co. zu tun hatte. Mr Oizos „Flat Beat“ war ein recht sperrig vor sich hin stolperndes Bassungetüm, das seinen Teil zu einer der erfolgreichsten Jeans-Werbekampagnen beitrug und tausende von Ravern gelbe Puppen kaufen ließ. Musikalisch verwies „Flat Beat“ auf eine Pariser Szene, die zu dieser Zeit erst im Entstehen war.

Für französische Verhältnisse ähnlich untypische Sounds wie Mr Oizo produzierte zu der Zeit auch Ark alias Guillaume Berroyer. Die beiden lernten sich in einem Club kennen und bastelten gemeinsam an neuen Stücken. 2001 erschien dann mit „Le Magician D’Os“ eine Maxi, ausgestattet mit Remixen von Mr Oizo und Matthew Herbert, durch die Ark sich bei vielen DJs einen Namen machte. Dabei stammt auch Berroyers größter kommerzieller Erfolg noch aus der Zeit bevor er sich Ark nannte und begann, auf die Filter Houser der französischen Metropole zu schimpfen. Als Trankilou gelangen ihm 1996 mit den Singles „Saint Glin-Glin“ und „Escalope de Dingue“ zwei echte Dancehits, die auch auf den „Future Sound of Paris“-Compilations dieser Zeit die Runde machten. Wie Ark hat auch Krikor Kouchian eine Filter-House-Phase durchgemacht und in den späten Neunzigern mit Größen wie Alex Gopher produziert. „Ein Irrtum“, wie sich laut Krikor bald herausstellen sollte. „Die Leute, mit denen ich arbeitete, konnten nicht wirklich etwas mit meinen Produktionen anfangen und ich nichts mit ihren.“

Zwar waren auch Ark und Krikor Disco- und Funk-Fans wie die anderen französischen House Produzenten, doch die Verwendung der immergleichen Filter-Effekte und oberflächliche Sample-Zitate ermüdeten sie schnell. Vor allem die frühen Werke des Engländers Matthew Herbert zeigten ihnen einen Weg auf, wie man House machen kann, der den Funk nicht vergisst und sich gleichzeitig nicht mit dem Wiederkäuen des Immergleichen zufrieden gibt und obendrein mit einer gewissen Exzentrizität versehen ist.

Zur gleichen Zeit, als sich Ark und Krikor auf neue musikalische Wege machten, eröffnete in Paris mit Katapult ein Plattenladen, deren Betreiber Alex Roger und Laetitia Cremadeills ebenfalls genug hatten von Filter House. Sie konzentrierten ihr Angebot überwiegend auf deutsche Minimal-House-Labels wie Playhouse und Perlon, deren Platten in anderen Pariser Läden so gut wie nicht erhältlich waren. „Es war Wahnsinn, zu entdecken, was es alles für Labels und Platten gab, von deren Existenz ich bis dahin nichts wusste. Und auffallend viele dieser Platten kamen aus Deutschland“, erinnert sich Ark.

Nachdem Produzenten und DJs wie er und Krikor von der Existenz des Ladens erfuhren, bildete sich bald ein Freundeskreis, der miteinander musizierte, Partys schmiss und Platten veröffentlichte. Alex und Laetitia stellten Platz im Keller ihres Ladens für ein Studio zur Verfügung und gründeten das Label Karat als Plattform für die Produktionen der neuen Szene. Dort erscheinen auch die Platten von Chloe Thevenin, die als einzige der Karat-Künstler die klassische Entwicklung vom DJ zum Produzenten gemacht hat. Bei den anderen war es eher umgekehrt. Ark und Krikor waren Musiker in Bands und Fans von Funk-Punk-Gruppen wie den Bad Brains und Fishbone, bevor sie ihren ersten Sampler kauften. Sie fingen erst durch ihre Besuche bei Karat an, Platten aufzulegen.

Bei Chloe hingegen arbeitete bereits ihre englische Mutter in den Sechzigern als Discjockey, sie selbst ist seit einigen Jahren der Star des lesbischen Pariser Clubs Pulp.

Anders als die Platten ihrer Labelkollegen verströmen Chloes Tracks wie „Sometimes“ oder „Blush“ eine sanfte Melancholie, statt des überdrehten Wahnsinn, mit dem Ark oder Krikor aufwarten. Trotz der Unterschiede kam für die 28-Jährige nur Karat für ihre ersten Produktionen in Frage. „Karat war einfach das einzige Label von dem ich wusste, dass sie meine Sachen verstehen würden und die nicht davon ausgingen, dass ich als Produzentin unbedingt den gleichen Stil machen würde, den ich auflege“, so Chloe.

Von der Pariser Clique pflegt Jean-Guillaume Cabanne den intensivsten Kontakt nach Berlin. Über ihn entstand der Kontakt zum Houselabel Perlon und mittlerweile ist Cabanne Mitglied in der losen Minimal-Supergroup Narodniki, zu der auch Ricardo Villalobos, Zip, Luciano, Richie Hawtin, Dimbiman, Akufen, Dandy Jack und Daniel Bell gehören und die zur Popkomm in der Volksbühne eines ihrer seltenen Konzerte geben wird.

Doch auch wenn die Karat-Künstler sich in einem internationalen Netzwerk verorten, von dem man in Frankreich als minimalisme spricht, kann zumindest bei Krikor und Ark von Reduziertheit keine Rede sein. Die Tracks borden über vor Samples, die aus allen erdenklichen Quellen stammen (für seinen Track „Lufthanza“ etwa nahm Krikor alle Geräusche auf, die ihm während eines Flugs auf den Minidisc Recorder kamen), und auch ihre gekritzelte Coverartworks, auf denen schon mal Möwen mit Patronen scheißen oder Krikor und Ark mit Hasenohren bei der musikalischen Früherziehung zu sehen sind, entsprechen nicht gerade den Vorstellungen von dem, was man sich gemeinhin unter minimal vorstellt.

„Man assoziiert uns mit der Minimal-Szene, weil wir auch auf Labels wie Perlon veröffentlichen und diese Leute gut kennen“, sagt Ark. „Aber eigentlich ist die Musik so ziemlich das Gegenteil von dem, was zum Beispiel Plastikman macht.“ „Daniel Bell hat früher mit vier Sounds einen ganzen Track gemacht. Wir benutzen etwa hundert“, fügt Cabanne hinzu. „Was wir machen, ist eher Maximal House als Minimal.“

Chloe, Ark, Krikor und Cabanne spielen am Donnerstag, den 30. September, im Watergate. Ab 23 Uhr