strafplanet erde: der gegen-schlecker von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Herr Noll könnte ein älterer Bruder von Mr. Bean sein, derjenige aus der Familie, aus dem was geworden ist. Vielleicht sind es aber allein die Grauwerte seines Bartschattens, die eine Verwandtschaft suggerieren. Noll ist Drogist, und er ist ein Gentleman. Immerhin wirkt er so vertrauensbildend und seriös, dass er der ideale, weil verlässlich-unauffällige Dealer wäre. Faire Preise für gute Qualität und für Neueinsteiger ein Schnäppchenpreis zum Anfixen. Ist doch bloß hundert oder wie viele Jahre her, dass seine Berufskollegen ganz legal Heroin gegen Husten und Heiserkeit verkauften.

Doch es ist eine nur kurzfristig plausible Vorstellung, dass Noll was unterm Ladentisch … Nein, ausgeschlossen! Das hat er nicht nötig, das würde er ablehnen. Außerdem hat er existenziell Wichtigeres zu tun. Seine Drogerie trotzt dem Schlecker Discount gegenüber in einer ans Heroische grenzenden, ach was, das Heroische neu definierenden Abwehrschlacht. Nolls Waffen sind Fachwissen, Verbindlichkeit und Eloquenz. Ich bin Stammkunde.

Ich hatte eine Streichholzschachtel bei mir, da war etwas drin, was ich ihm zeigen wollte. Ich zeigte es ihm. Er zeigte ein Schmunzeln, angedeutetes Kopfnicken, das kein Ende nahm, der mimische Triumph des Bescheidwissers. Nein, das sei keine Fruchtfliege, Drosophila melanogaster, sondern eine Kupferrote Dörrobstmotte, Plodia interpunctella: „Sie werden es vielleicht nicht glauben: eine Schmetterlingsart.“ In dieser Situation, fand ich, spielten Namen keine Rolle, wie Fußballtrainer auf die Frage nach der Aufstellung vom kommenden Wochenende phrasieren. Ich musste mir darüber Gedanken machen, wie ich das spirrelige Getier aus seinem Siedlungsgebiet, unserem Küchenschrank, vertreibe. Zur Unterstützung war Noll da, vielmehr deshalb war ich ja hier.

Ein Pärchen lege bis zu 500 Eier, Noll dosierte die Informationen souverän. Bevor ich ohnmächtig wurde, malte ich mir aus, wie die Dörrobstmotten in Regimentsstärke die Macht über unsere Wohnung an sich reißen würden. Ähnlich wie „Schlecker, der alte Monopolist“ (Helge Schneider), die Hoheit über den Weltmarkt des Drogerie-Discounts.

Das Mindeste würde sein, alles Lebendige unter den Lebensmitteln wegzuschmeißen. Nein, es war keine der heute im Phrasenkatalog ganz oben stehenden Horrorvisionen, eher eine fade Mühsal, die auf uns wartete, und das mit der Ohnmacht ist natürlich gelogen. Noll hatte mehrere Befreiungsstrategien parat, präsentierte mit Kennermiene und leicht gönnerhaftem Lächeln ein Angebot an verhältnismäßig naturbelassenen, trotzdem angeblich hochwirksamen Vernichtungsmitteln, darunter eine Reihe von Klebstreifen, welche die Männchen der Dörrobstmotten anlocken, weil sie, die Klebstreifen, getränkt sind mit den Sexualduftstoffen der Weibchen.

Die Mechanismen der Fortpflanzung auszunutzen, schien mir plausibel und irgendwie fair. Andernfalls hätte eine Kleinfamilie numerisch keine Chance, deren Elternteil die naturgesetzliche Nachwuchsproduktion geregelt hat, deren minderjähriger Teil sie jedoch noch nicht aufnehmen kann.

Doch es galt: Keine Gefangenen! Und so geschah es.