berliner szenen Lügen am Grabe

Asche zu Asche

Das hatte er nicht verdient, mein alter Freund Wolfgang. Ein professioneller Grabredner salbaderte salbungsvoll esoterisch angehauchte Weisheiten über den Menschen, der in unser aller Gedächtnis weiterleben wird. Ich ballte die Fäuste in meinem Totengräbermantel und versank mindestens drei Zentimeter vor Scham in den Erdboden, und das ist ja das Schlimmste, dass man sich für solche Trottel auch noch schämt.

Ich dachte an Doris, die einmal bei einem Begräbnis mitten in die schleimige Totenrede hineinplatzte: „Das ist doch alles gelogen!“ Okay, sie war vielleicht ein wenig zugekokst, aber das muss man erst mal bringen. In Gedanken zog ich den Hut vor ihr. Diesmal war keine Doris da. Das Ritual nahm seinen Lauf. „Asche zu Asche“, sagte der Grabredner und warf Sand auf den Sarg. Konnte man ihn nicht gleich hinterherschmeißen?

Als ich Wolfgang kennenlernte, hatte er gerade eine kleine Yacht in Nizza geklaut und schipperte mit ihr auf dem Mittelmeer herum. Als ihm das Geld ausging, kam er nach Berlin zurück, zog bei mir ein und fuhr Taxi. Er war immer gut gekleidet dank einer Kreditkarte, die nicht ihm gehörte. Dann wurde die Yacht aufgebracht. Früh um sechs klingelte mich die Polizei aus dem Bett, um sein Zimmer zu durchsuchen. Wolfgang sprang aus dem Fenster, Parterre. Der Fall wurde in Bild breitgetreten, aber nachweisen konnte man ihm nichts.

Vor einem Jahr fragte ich ihn, ob er diese Geschichte nicht mal aufschreiben wolle. Er wollte nicht, wegen seiner Tochter. Sie wird jetzt nie erfahren, was für einen tollen Vater sie hatte. Meiner jedenfalls habe ich schon lange erzählt, dass ich mal im Knast war. Sie soll sich schließlich meiner nicht schämen.

KLAUS BITTERMANN