Eine Liebe in Deutschland

Der neue Golf steht seit Samstag bei den Vertragshändlern. Sieht aus wie ein Golf. Kann jetzt aber auch gradeaus fahren. Wird er die Welt retten oder zumindest die Bilanz von VW?

von CLEMENS NIEDENTHAL

Mein erster neuer Golf begegnete mir spätabends auf der Autobahn. Ich war auf dem Weg nach Hause. Er stand auf einem Laster und war auf dem Weg ins Wochenende. Ins Wochenende seiner Niederkunft, um genau zu sein.

Seit Samstag steht der neue Golf bei Ludwig Dippel in Neustadt und bei Eduard Winter in Berlin. Sowie bei deutschlandweit 1.400 weiteren Vertragshändlern. 1.400 Volkswagen-Partnern, wie die Betriebe im Markenjargon des Wolfsburger Automobilkonzerns genannt werden. Denn Volkswagen-Partner klingt so schön freundschaftlich und vertraut. Einen Partner findet man unter glücklichen Umständen fürs Leben. Einen Golf vielleicht auch. Nur dass der alle fünf oder sechs Jahre gegen einen neuen eingetauscht wird.

13,4 Autos begleiten ein durchschnittliches Bundesbürgerleben. Statistisch betrachtet, müsste demnach fast jeder in Deutschland lebende Mensch irgendwann einmal zum Golffahrer, zur Golffahrerin werden.

Hermann Görge ist Rentner. Kommt aus dem oberhessischen Stadtallendorf. Fährt seit 18 Jahren Golf. „Seit die Kinder aus dem Haus sind und der Frau der lange Audi zu unpraktisch wurde.“ Auch den neuen, fünften Golf wird er sich bald kaufen. In der 15.200 Euro teuren Basisversion, kaum Extras, nicht einmal ein Radio. Die Musik von heute würde ihm nicht mehr gefallen. Der neue Golf V hingegen schon.

Ein schöner Wagen sei das geworden, sagt Herr Görge und legt seine Handflächen sanft aufs Lederlenkrad des reflexsilbernen Ausstellungsstücks. Aber schön seien seine anderen Golfs ja auch gewesen. Eine Erkenntnis, die Herrn Görge nicht davon abbringen wird, den alten gegen den neuen auszutauschen.

Und die Musi spielt dazu

Im Schaufenster des örtlichen VW-Händlers angekommen, ist der Golf erst einmal für alle da. Und wird gebührend empfangen. Von der hessischen Trachtenkapelle Wohratal zum Beispiel oder auch nur von der aktuellen Pur-CD.

Die Menschen kommen zum Golf. Und der Golf kommt auch ein wenig zu sich selbst. Er, der ausgerechnet zu Nick Drakes tottrauriger Ballade „Pink Moon“ durchs Werbefernsehen gerollt war. Auf seinen Ledersitzen vier junge Menschen, die aussahen, als hätten sie gerade eine Britpopband gegründet. Oder aber er, der im aktuellen Farbprospekt einmal mehr vor einem Mies-van-der-Rohe-Bungalow parkt – und nicht in einer zeitgenössischen Fertighaussiedlung.

Doch der Golf aus der Werbung ist kaum der Golf vom Autopark Dippel in Neustadt und auch nicht der Golf vom Autohaus Denzel in Wohratal. Hier in der hessischen Provinz ist er der Golf der Meiers und der Müllers, ist er das Statussymbol von nebenan. Hier in der hessischen Provinz, wie im übrigen auch in der Berliner oder Hamburger Provinz, ist er auch das Auto von Menschen, die nicht verstehen, dass es an der aktuellen Golf-Kampagne („Der neue Golf. Jetzt auch schnell“) nichts zu verstehen gibt.

Wie aber versteht man den Golf? Das einzige Auto, nach dem eine eigene Klasse benannt wurde (die Golf-Klasse) und das doch scheinbar jenseits jedweder Klassenschranken funktioniert. Gerhard Schröder, Bundeskanzler, so hat er es einmal dem Kinderkanal erzählt, fährt samstags im Golf Getränke holen. Prinz William bekam ihn von seinem Vater zum 17. Geburtstag geschenkt. Mehr als 22 Millionen Mal wurde der Golf seit 1974 produziert. Längst hat er den Käfer überflügelt, jenen anderen Volkswagen, der irgendwie für alle in Ordnung ging.

Für seine einfachen und essenziellen Linien hat der Designer Otl Aicher den allerersten Golf einmal gerühmt. Zwar waren die schon in der zweiten Golf-Generation verschwunden, einige wenige sind nun in der vierten und fünften Generation wieder aufgetaucht, eines aber hat sich der Golf bewahrt: Er blieb ein Auto, das von sich aus auf all zu eindeutige Zuschreibungen verzichtet, das sich in die unterschiedlichsten Lebensentwürfe integrieren lässt. Den Golf kann man ganz konkret tiefer- oder aber symbolisch höherlegen. Den Golf fahren Raser und Rentner, Fahrlehrer und Oberstudienräte. Im Golf haben sich die Distinktionen der automobilen Klassengesellschaft nach innen verlagert.

Wer will, der kann für den 4,20 Meter langen Kompaktwagen ohne große Mühe das Zweieinhalbfache des Einstiegspreises bezahlen. Kann ihn wohl bald, wie schon seinen Vorgänger, mit dem 250-PS-Aggregat aus der Kanzlerlimousine Phaeton ordern. Wer nicht will, kann in ihm auch schlichtes Understatement kultivieren. Doch auch das ist mit den Jahren richtig teuer geworden. In den Ausstellungsräumen der Volkswagen-Partner jedenfalls findet sich kaum ein Exemplar, dessen Preis noch familienfreundlich zu nennen wäre.

Bratwurst, Trachtenkapelle, Kinderkarussell – die Händler inszenieren die Markteinführung der fünften Golfgeneration als Volksfest. Und werfen ungewollt die Frage auf, ob nicht beides, der Volkswagen wie das Volksfest, auch Konzepte aus einem gerade vergangenen Jahrhunderts sind.

Ein Fest für alle?

Ein Golf für alle?

Auch der Verkaufsberater mit der gut gelaunten New-Beetle-Krawatte lässt sich hinter vorgehaltener Hand zur Prognose verleiten, dass der Golf V allenfalls die Stückzahlen seines Vorgängers erreichen wird. Zu groß sei die Konkurrenz „auch aus dem eigenen Haus“. Zu unterschiedlich seien die Wünsche der Kunden. Er nennt es „Bedürfnisse“.

Der Käufer

Aber dann treffe ich noch einen, der sich an diesem Samstag tatsächlich einen VW Golf gekauft hat. Grünmetallic, 70 PS und 230.000 Kilometer auf den Achsen. Kein elektronisches Sperrdifferenzial und keine elektrischen Fensterheber. Tobias Naumann ist 18. Berufsschüler. 750 Euro hat er für sein erstes Auto bezahlt. Seinen ersten Golf.

Ob er Florian Illies kenne?

Nein, nie gehört.

Er lächelt ein seliges Ich-und-mein-Auto-Lächeln.