ddr, 29. 9. 1989: noch 10 tage bis zur wende
: „Überstunden im Reisebüro Honecker“ – taz-Schlagzeile vor 15 Jahren

– Prager Polizei versucht Überklettern des BRD-Botschaftszauns zu unterbinden. Dennoch erhöht sich die Flüchtlingszahl auf 2.600. Wegen der Enge sind sie gezwungen, in Schichten zu schlafen, Seuchen werden befürchtet. Außenminister Genscher nennt die Lage „kaum vorstellbar“. In der Warschauer Botschaft campen 600 DDR-Bürger.

– CSSR-Regierungssprecher Pavel: Flüchtlingsansturm wird zunehmend „zum Problem der öffentlichen Ordnung in Prag“.

– Gewerkschaftler des VEB Bergmann Borsig kritisieren in einem Brief an FDGB-Chef Harry Tisch die Informationspolitik: „Es trifft nicht im Entferntesten die Empfindungen der Kollegen, wenn die Medien nach peinlichem Schweigen nun den Versuch unternehmen, die Abkehr so vieler unserer Menschen ausschließlich als Machwerk des Klassengegners zu entlarven.“

– 5.000 Menschen haben Gründungsaufruf des Neuen Forums unterzeichnet. Bärbel Bohley fordert westdeutsche Politiker auf, „Oppositionsgruppen nicht für ihre Politik zu vereinnahmen“. Ziel der Bewegung sei nicht Einführung des Kapitalismus, sondern ein „anderer Sozialismus als der in der DDR praktizierte“.

– Die Leipziger Volkszeitung beginnt eine Leserbrief-Hetzkampagne gegen die Friedensgebete.

Außerordentliche Politbürositzung: Erich Honecker genehmigt Ausreise der Botschaftsbesetzer, allerdings müssen die vorher per Zug noch einmal über DDR-Territorium. Eine Formalie.

Tagebuch von Jürgen Kuczynski, DDR-Historiker:

Die Lage spitzt sich immer mehr zu, und es kann nicht mehr lange so weitergehen. Das Wichtige ist, dass es nicht zu einer Explosion kommt. Hatte drei Versammlungen in einer Woche. Die Menschen fragen: Was können wir tun, um eine Veränderung zu bringen? Wann werden endlich die Alten oben abgelöst? Es herrschen Zorn und Verzweiflung. RENI